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Der Landtag NRW will 2011 wissen: "Was tun gegen die Finanzinvestoren?"
(24. April 2020)

Ich werde heute beschreiben, wie sich um 2010 herum die Auseinandersetzungen von Mietern und Mieterinnen in privatisierten, von internationalem Private Equity-Kapital gekaperten Wohnungsbeständen entwickelten. Es war nicht zufällig, dass in Nordrhein-Westfalen und im Ruhrgebiet, wo 2006 fast eine dreiviertel Millionen Miet- und Werkswohnungen an Private Equity Investoren verkauft worden waren, die Verunsicherung der Mieter und Mieterinnen sich zuspitzte. Denn es waren nicht nur die ca. 140.000 Wohnungen von Viterra/E.ON an die in Großbritannien entwickelten Fonds von Terra Firma privatisiert worden. Die ca. 50.000 Wohnungen von Thyssen-Krupp wurden 2004 an Morgan Stanley Fonds verkauft. Bayer verkaufte ca. 9.000 Wohnungen und Hoechst verkaufte 9.000 Wohnungen an die Deutsche Wohnen. Und Babcock & Brown verkaufte etwa 6.000 Werkswohnungen an das französische Investitionsvehikel Foncière des Régions. Auch viele kleinere Investoren suchten als Surfer der Privatisierungswelle ein Stückchen von diesem hoch modernen Kuchen abzubekommen. Die Schwerpunkte der Privatisierungswelle 2004 bis 2007 lagen eindeutig in Berlin und Nordrhein-Westfalen. Die Mieter und Mieterinnen in den Wohnungsbeständen der Montanindustrie im Ruhrgebiet waren geschockter als andere. Sie empfanden - gewöhnt an die erkämpfte Mitbestimmungskultur in den Zechen und Stahlwerken und an die Unterstützung ihrer Betriebsräte - den scharfen Wind aus dem internationalen Finanzkapital weit weniger erträglich als andere. Mieter und Mieterinnen gingen mit ihren Protesten gegen die Vernachlässigung der Bestände, die sprunghaften Mieterhöhungen und die miserable Behandlung durch die Finanzmarkt-Vermieter frühzeitig an die Öffentlichkeit, mobilisierten lokale Mietervereine, Gewerkschaften und Lokal- und Landespolitiker. Mieterprotest war in Nordrhein-Westfalen also von vornherein politischer als anderswo, suchte und fand schon länger politische Bühnen.

Dies war der Grund, warum der Landtag NRW kaum anders konnte als im Jahr 2011 eine Enquetekommission "Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzinvestoren" ins Leben zu rufen, obwohl der Antrag, dies zu machen, nicht von einer der beiden großen Parteien im Landtag eingebracht wurde, sondern von der kleinen und im Landtag neuen Partei, Bündnis 90/Die Grünen. Sie war Juniorpartnerin der ersten rot-grünen Mehrheit im Landtag NRW geworden. In der Zeit vor der Enquete hatten die Wohnungsverkäufe überall in Deutschland noch einmal stark zugenommen, in Nordrhein-Westfalen wurde das Ruhrgebiet zu einem Hauptumschlagsplatz der neuen Finanzinvestoren. Neue Finanzinvestoren der zweiten oder dritten Käufergeneration, die sogenannten Weiterverwerter, hielten nun problematische Wohnungsbestände im Niedrigpreissegment, wie die Enquetekommission feststellte. Doch eine vollständige Bestandsanalyse gelang nicht. Der Kenntnisstand der Kommunen war nämlich jenseits der pressebekannten Fälle irritierend gering, meinte die Kommission in ihrem Schlussbericht. Rainer Stücker vom Mieterverein Dortmund, der für die Grünen als wissenschaftlicher Referent in der Enquetekommission saß, sorgte dafür, dass Dortmund, dessen massenhafte Private Equity Eigentümer er ja kannte, in der Untersuchung der Kommission prominent vertreten war. 77 Prozent des Immobilieneigentums der Private Equity Eigentümer in Dortmund musste sich gefallen lassen, von der Enquetekommission als "Problemimmobilien" gewertet zu werden. 2008 bis 2010 waren wegen der deutlich sichtbaren Vernachlässigungen Insolvenzen für die Private Equity Branche denkbar. Es ist nicht dazu gekommen, sondern zu einer weiteren Konzentration der an Kapitalrendite orientierten Wohnungsunternehmen - bei Vonovia zum Beispiel

Fahrzeug

Foto: Sebastian Müller

Rainer Stücker, den ich zur Enquetekommission befragt habe, ist der Auffassung, dass in der Enquetekommission und im Landtag mehrheitlich eine andere Perspektive für denkbar und möglich gehalten wurde, nämlich eine sozial orientierte Landeswohnungsgesellschaft als Auffanggesellschaft für problematische Immobilien, eine andere Landesentwicklungsgesellschaft also, zu schaffen. 57 Prozent des Wohnungsbestands der bestehenden LEG war sowieso öffentlich gefördert und 40 Prozent waren Sozialwohnungen. Aber es kam dann doch anders. Die LEG wurde unverändert im Jahr 2008 privatisiert und fand sich damit über eine Holding im Eigentum der Whitehall Real Estate Funds sowie weiteren Fonds wieder, die zum Zeitpunkt ihrer Privatisierung von der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs verwaltet wurden.

Nach 20 Monaten Arbeit schloss die Enquetekommission "Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzinvestoren" ihre Arbeit mit einem umfangreichen Bericht und einer Reihe kluger Alternativstrategien für den Umgang mit Problemimmobilien sowie einem Mehrheitsvotum von SPD und Grünen ab. Die CDU verweigerte sich einem gesamten, gemeinsam getragenen Beschluss des Landtags NRW. Das historische Fenster, das erst so aussah, als würde es eine konstruktive politische Antwort auf seine Frage geben können, was tun gegen die Finanzinvestoren, schlug zu.