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Vonovia fiebert dem Abriss von zwei Schlichtwohnungsquartieren
in Bremen entgegen (15. Juni 2017)

Wie das größte börsennotierte Unternehmen für Wohnimmobilien Deutschlands, Vonovia, ihre ärmeren Mieter schikaniert und verdrängt, ihren ökologisch ziemlich vernünftigen Lebensstil angreift und begonnen hat, gewachsene Stadtstrukturen und Mietergemeinschaften auszulöschen und zum Verschwinden zu bringen, das ist derzeit in drei Bremer Stadtteilen zu beobachten. Sie haben vieles gemeinsam, eines aber mit Sicherheit: Es sind Quartiere mit kleinen Wohnungen und einfachen Standards, die in zweistöckigen Häuserzeilen liegen, alle mit einem Stückchen Gartenland drum herum. Ideale Altenwohnungen eigentlich.

Straßenschild

Als wir die zwei Abriss bedrohten Quartiere im April 2017 besuchten, zeigten sich uns die Gärten noch vorfrühlingshaft verschlafen, aber offensichtlich sonst intensiv genutzt: Überall kleine Gartenhäuser, Gartenwerkzeug und das winterfeste Gartenmobiliar aus dem Baumarkt. In Bremen heißen sie Schlichtwohnungsquartiere. Von ehemals sieben gibt es noch die drei oben genannten.

Zu einem Frühstück sind wir bei Familie H. in der Holsteiner Straße verabredet. Herr H. wohnt dort seit seiner Geburt, und die ist jetzt über 30 Jahre her. Sein Vater bekam die Wohnung durch die Werft, die ihn in der Türkei angeworben hatte. Die Wohnung erreicht man über einen der siedlungstypischen Waschbetonplattenwege am Rand der Häuser, dann eine steile Treppe hinauf, auf der wir die Straßenschuhe abstellen. Zu diesem Frühstück erscheinen auch noch zwei, drei Freunde aus der Bürgerinitiative für die Holsteiner Straße. Einer davon ist K., der seine Wohnung durch die Zentrale Fachstelle für Wohnungslose zugewiesen bekam. Das ist Jahre her. Er hat Pech im Leben gehabt, ist dann arbeitslos und schließlich wohnungslos geworden. Er ist in großer Sorge, dass die Polizei ihn eines Tages abholt und vielleicht in die Reihersiedlung bringt, obwohl er doch hier, in der Holsteiner, seit Jahren zu Hause ist. Er hat keine Kündigung für diese Wohnung. Zuletzt hatte die Fachstelle gemeint, er müsste im April ausziehen. Aber "jetzt haben wir schon Mitte April", meint er, "und keiner hat bisher eine Kündigung der Vonovia für seine Wohnung, obwohl der Bremer Senat im März grünes Licht für ihren Abriss gegeben hat". Denn das ist der aktuelle Aufreger. Der Bremer Senat wollte auch aufräumen mit den Schlichtsiedlungen in Bremen. Er genehmigte den Abriss der Häuser in Walle im März.

An die ca. 200 Schlichtwohnungen in Bremen kam Vonovia vor drei Jahren durch die Übernahme der Vitus-Gruppe. Vitus war ein Profiteur der Privatisierung der Bremischen Gesellschaft für Stadterneuerung und Wohnungsbau und der Beamten-Baugesellschaft. Schon Vitus hatte die Schlichtwohnungsquartiere heruntergewirtschaftet. Vonovia ließ den Leerstand dramatisch zunehmen und hat nichts mehr investiert. "Eine Sanierung sei wirtschaftlich nicht darstellbar", hieß es. Heute gibt es noch 41 Wohnungen in der Holsteiner Straße, 80 am Sacksdamm und 52 in der Reihersiedlung. Vonovia will zumindest die Häuser in der Holsteiner Straße jetzt abreißen, ihr Fertigbausystem zur Anwendung bringen und "frei finanzierte Familienwohnungen" bauen, die 8 Euro Miete pro Quadratmeter bringen sollen. Aber keine einzige Sozialwohnung ist vorgesehen. Familie H. bot Vonovia Wohnungen an, die 1.000 Euro und mehr kosten sollten. "Das kann ich mir nicht leisten", sagt Herr H. und er entschloss sich, im März 2017 mit rund 50 anderen Menschen vor der Bremischen Bürgerschaft gegen Vonovia und die Pläne des Bremischen Senats zu demonstrieren. Herr H. arbeitet 30 Stunden die Woche als Erzieher in Huchting und er hat eine Familie mit sieben Kindern. Mit einer so kinderreichen Familie und einem kleinen Einkommen findet heutzutage in Deutschland kaum jemand eine Wohnung, auch in Bremen nicht. Die Holsteiner Straße ist schlicht, ja, zweistöckig, Ofenheizung, aber eine Idylle mit viel Freiraum. Herr H. hat es sich und seiner Familie schön und praktisch gemacht. Mit einem Wanddurchbruch hat er die Nachbarwohnung auf der Etage mit dazu genommen. "Das ist unsere Heimat. Wir möchten hier bleiben", sagt er, "egal, was unsere Vermieterin, die Vonovia, vorhat und der Bremer Senat gerade am siebten März beschlossen hat." Im April sollten schon alle aus der Siedlung raus sein. Noch sind sie da. Und zum 1. Mai verabredet die Frühstücksgruppe sich untereinander und mit anderen Mieteraktivisten, die Hecke am Rand der Siedlung, die Vonovia abgeholzt hat, als einen Sichtschutz wieder herzustellen.

In den anderen beiden Siedlungen geht die Angst um, dass Vonovia sie ebenfalls platt machen will. Denn überall dasselbe Vorspiel: starke Vernachlässigung der Häuser, riesige Leerstandsquoten bis zu 78 Prozent und die Gerüchte von einem baldigen Totalabriss. So ist es in der Reihersiedlung. So ist es auch Am Sacksdamm. Dort sind wir bei einer weiteren Familie H., die wir am Nachmittag besuchen. Frau H. führte uns durch das 1926 gebaute Quartier. Ein Eckhaus hat Vonovia abgerissen, doch Frau H. und ihre Freundinnen haben das leere Grundstück sofort wieder als Gartenland hergerichtet. Die weit überwiegende Anzahl der bescheidenen Häuser hat die Vonovia leer stehen lassen. Familie H. hat neun Kinder und hat sich dort mit viel Liebe und Eigeninvestition ihr Haus eingerichtet, das für sie alternativlos ist. Seit ein Teil der Kinder ausgezogen ist und nur noch zu Besuch erscheint, ist aus der Zusammenlegung zweier Häuser - jedes ca. 39 Quadratmeter groß - und mit dem Anbau eines Wintergartens endlich eine Wohnung mit Platz für alle und ihre Hobbys geworden. Im Wohn-Esszimmer prangt eine raumhohe Voliere für den Papagei, im Garten gibt es rote Tulpen und Gartenzwerge. Es gibt auch einen gemauerten Grill, startklar und sauber. Unter einen Pavillon aus dem Baumarkt kann sich Familie und Besuch bei zu viel Regen oder Sonne flüchten. In der Familie H. gehen beide Eltern und die älteren Kinder arbeiten. Die Eltern bringen die 1.000 Euro zusammen, die sie das Wohnen mit allen Nebenkosten am Sacksdamm monatlich kostet, die Investitionen in die Substanz nicht gerechnet.

Siedlung

Quartier an der Holsteiner Straße

Auf dem Sacksdamm ist es vor lauter Leerstand mittlerweile richtig sehr ruhig geworden, "zu ruhig", wie Frau H. findet. Sie wünscht sich junge Leute für den Sacksdamm, "die das Vereinsheim bevölkern", das Frau H. früher bewirtschaftet hat, heute aber geschlossen ist und leer steht. Familie H. bekam immer mal wieder Wohnungsangebote von Vonovia, die sich beim näheren Hinsehen als nicht tragbar erwiesen oder wieder zurückgezogen wurden, weil die Wohnungen doch "schon vergeben" waren. Jetzt hat das Jugendamt, das Frau H. Familienhilfe angedeihen lässt, sie wissen lassen, dass sie wohl im August 2017 aus dem Haus am Sacksdamm ausziehen müsste und ihr gedroht, die Kinder bei anderen Familien in Obhut zu geben. Das Amt sagte es verschlüsselt: "Glauben Sie, wir lassen zu, dass die Kinder obdachlos werden?" Auch eine Methode, Menschen, die sich wehren, mundtot zu machen. Frau H. beschwert sich darüber. "Das schafft selbstverständlich wieder Unsicherheit und Zukunftsängste", sagt sie, eine Unsicherheit, die Famlie H. ihr Leben lang begleitet hat. Aber sie hat seit 2008 angefangen, entschieden dagegen zu kämpfen, hat mit allen geredet, ob sie ihr zuhören wollten oder nicht, hat im Fernsehen in jedes Mikrophon gesprochen, das ihr hingehalten wurde, auch mit den Politikern im Hemelinger Beirat, zu dem die Straße Am Sacksdamm gehört. Sie meint, dass das bei der großen Senatspolitik jetzt angekommen ist. Der Bürgermeister habe sie für Juni ins Rathaus eingeladen. Der sozialdemokratische Bremer Bürgermeister Carsten Sieling habe verstanden, dass es ein Fehler war, den GRÜNEN das Sozialreferat und das Baureferat zu überlassen, weil sich doch zeige, dass sich die Grünen aus sozialen Frage zu sehr heraushielten. Der Bürgermeister würde ihnen und der Vonovia in Bremen ihre unsoziale Bau- und Wohnungspolitik nicht länger durchgehen lassen, die die Abgehängten der Gesellschaft nicht ausreichend unterstütze. Wird Bremens sozialpolitischer Grundzug Vonovia in Bremen zum Schlingern bringen? Noch sieht es nicht danach aus.

Die Reihersiedlung konnten wir an unserem Besuchstag in Bremen nicht mehr besuchen. Es war zu spät geworden.

Über die Reihersiedlung und die bedrohten Schlichtwohnungen berichtet die "Zeitschrift der Straße", das Bremer Straßenmagazin, Ausgabe 47, März 2017. Die Redaktion interviewte und berichtete fair und vielseitig Fakten und Meinungen zu den Bremer Schlichtwohnungssiedlungen. Mit mir zu Besuch bei den beiden Familien H. waren die Bremer Mieteraktivisten Ingrid Marek und Rechtsanwalt Holger Gautzsch von "Mieter helfen Mietern Bremen e.V.".