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Wohnungsnot - Wohnungspolitik - Wohnperspektiven
(20. Dezember 2016)

Einleitung

Es wäre Unsinn, eine allgemeine Wohnungsnot in Deutschland zu behaupten. Aber Wohnungsnöte gibt es haufenweise. Die Bundesregierung hat gerade auf eine Anfrage der Fraktion der Linken in Bundestag zu Wohnungslosigkeit antworten müssen, dass die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland in diesem Jahr auf 335 000 gestiegen ist. Ich konzentriere mich aber hier auf das Wohnen zur Miete.1) Dabei finde ich vor allem wichtig, dass Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen mit anständigen Wohnungen versorgt werden können statt dass sie keine haben oder finden, oder ständig fürchten, ihre Wohnhülle zu verlieren oder mit unberechenbar steigenden Mieten ihrer Vermieter für das Mieten büßen. Die Wohnungsfrage ist seit eh und je ein Problem der einkommensschwachen und vermögenslosen Haushalte. Es gibt diese Haushalte ohne Zweifel wieder in großem Umfang, was in meinen Augen ein Skandal ist. Wir haben ziemlich verlässliche Zahlen dafür in den diversen Wohnungsmarktberichten der Welt. Aber ich werde mich auf Zahlen in Nordrhein-Westfalens beschränken.

Nur - eine Politik der Wohnungsbeschaffung für Menschen mit geringen finanziellen Resslourcen haben wir damit noch nicht. Soll sie kritisch sein und sich gesellschaftspolitisch wieder sozial orientieren, lässt sich aus Zahlen fehlender Wohnungen und statistischen Kalkülen allein keine soziale Wohnungspolitik schöpfen. Wir müssen die materialistische Analyse des Wohnens und seiner fehlerhaften gesellschaftlichen Regulation öffnen.2) Die Alternative kommt mit Subjekten daher, die das Fehlende kritisieren, Träume, Ideen, Gedanken, Wünsche des "guten" Wohnens mit sich herum tragen, darum kämpfen, Wohnprojekte auf die Beine stellen oder Genossenschaften gründen und mit Geld umgehen können. Vielleicht sollten kritische Träumer eine riskante alternative Wohnungspolitik machen oder in Stadtteile mit sozialen Schwierigkeiten arbeiten wollen und mit Polizei, Sozialarbeitern, Fahrkartenkontrolleuren, Staatsanwälten, Mahnbescheiden und Gerichtsvollziehern angemessen umgehen können. Wenn sie in Wagenburgen und Baumhäusern leben wollen - sei's drum. Ich möchte dafür werben, gemeinschaftliche Wohnprojekte zu entwickeln, zu fördern und zu unterstützen. Schon länger ist viel Hoffnung mit gemeinwirtschaftlichen Bau- und Wohnungsgenossenschaften verbunden worden. Ich entwickle die Ideen dazu ein wenig weiter auf der Grundlage einiger Vorschläge, die im Abschlussbericht der Enquetekommission des Landtags NRW zum "wohnungswirtschaftlichen Wandel und den neuen Finanzinvestoren" in den Jahren 2012 und 2013 nicht erstmals gemacht, aber aufgeschrieben wurden.3) Ich hatte die Chance, am Erarbeitungsprozess teilzunehmen.

Einkommensschwache und vermögenslose Haushalte

Im Wohnungsmarkbericht NRW 2015 wird auf die nach wie vor hohe Quote wohnungssuchender SGB II Empfänger hingewiesen und auch darauf, dass unter ihnen die Quote älterer Bezieher von Sozialgeld um 5,2Prozent angestiegen ist, so dass "sowohl kurz- als auch mittelfristig eher nicht mit einer Entspannung im unteren Preissegment des Marktes zu rechnen ist"(S. 17). "Im Jahr 2015 haben in NRW 1,68 Millionen Personen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose und Soziageld nach SGB II erhalten. Der Anteil steigerte sich leicht auf 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. ... Rein quantitativ konzentrieren sich die Leistungsbezieher auf die großen Städte und deren Umlang."(S. 30/31 des Wohnungsmarktberichtes NRW 2016). Die Empfänger von Transfereinkommen nach § II des Sozialgesetzbuches werden statistisch erfasst, sind durch ihre Bezüge von niedrigen bis sehr niedrigen Sozialleistungen ohne Frage Menschen mit geringem Einkommen. Es macht Sinn, sie paradigmatisch zu nutzen, um die soziale Lage von Mietern und Mieterinnen mit einem geringen Einkommen zu beschreiben. "SGB II Empfänger suchen nach kleinen, preisgünstigen Wohnungen", wie der Bericht weiß. Die Wohnungsmarktberichte NRW 2015 /2016 sind Berichte, die jenseits von Erfolgsmeldungen in der hauseigenen Wohnungspolitik auch Probleme benennen. So zeigt der Bericht von 2015 das stetige Steigen zwischen 2005 und 2014 von "Empfängern von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung". 2014 waren es um die 20.000. Ebenso zeigt die Graphik den merklich steileren Anstieg der "Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt" seit 2010. Dazu heißt es im Text dramatisch genug: "Im Jahr 2014 haben in Nordrhein-Westfalen rund 1,6 Millionen Menschen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und Sozialgeld nach SGB II erhalten, immerhin 9,2 Prozent der Gesamtbevölkerung." 2015 waren es 1,68 Millionen oder 9,4 Prozent der Bevölkerung.4)

Der Wohnungsmarkbericht Dortmund bestätigt diesen Befund mit örtlichen Zahlen. "Das bekannte Dilemma zwischen der notwendigen Bestandsmodernisierung und der Sicherung von preiswertem Wohnraum für die steigende Zahl an Haushalten mit geringem Einkommen" vergrößere sich. "Das Mietniveau erhöht sich nicht nur auf Grund von modernisierungsbedingten Mietsteigerungen, sondern auch wegen der Angebotsverknappung", meint der Wohnungsmarktbericht Dortmund 2016. In den Preisklassen unter 6,00 Euro/m2 sei die Zahl der angebotenen Wohnungen im Jahre 2015 um 40 Prozent auf etwa 5.200 Angebote gegenüber 2010 gesunken. Zugleich hat sich "im Zeitraum 2011 bis 2015 ... die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen und Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen nach dem SGB XII um 23,4 Prozent erhöht. Von den Personen, die im Dezember 2015 SGB XII-Leistungen erhielten, sind 7.293 Personen 65 Jahre und älter". Und ihre Zahl steigt schnell: "Im Vergleich zum Vorjahr ist allein die Zahl der Personen, die SGB II-, SGB XII- und AsylbLG-Leistungen beziehen, um ca. 5.400 auf rund 10 170 gestiegen."5) Im Städtevergleich für die Jahre 2011 bis 2013 im RVR-Gebiet zeigt sich, dass die Zahlen - bis auf den Kreis Wesel - hoch sind. Die Anzahl der Leistungsempfängern nach SGB II ist mehr oder weniger gleich hoch geblieben. Mit ca. 23 Prozent der Bevölkerung hat Gelsenkirchen den Spitzenwert. Bei den Leistungsempfängern der Grundsicherung nach SGB XII gibt in den letzten Jahren Zuwächse. Dortmund hält die Spitze mit einem Anstieg von 5,0 auf 5,5 Prozent in den Jahren 2011 bis 2013. Die Autorinnen und Autoren von "Wohnungsmarkt Ruhr" entwickeln daraus eine etwas merkwürdige Handlungsperspektive: "Die beschriebenen demographischen Entwicklungen und Vorhersagen bestärken die schon in den ersten beiden Regionalen Wohnungsmarktberichten gewonnenen Erkenntnisse, wonach auf dem Wohnungsmarkt Ruhr kurz- bis mittelfristig so genannter ‚demographiefester' senioren- und behindertengerechter, barrierearmer, familiengerechter und energetisch optimierter Wohnraum dringend benötigt wird".6) Er thematisiert die Altersarmut nicht.

Die wohnungspolitische Bedeutung der neuen Finanzinvestoren in NRW

Mieter und Mieterinnen mit geringen Einkommen leben selbstverständlich auch in Wohnungen, die kleine Privatinvestoren vermieten, in Wohnungen städtischer Wohnungsgesellschaften und bei Genossenschaften. Sie wohnen auch zur Untermiete. Auch in Werkswohnungsbeständen der Industrieunternehmen konnten sie im Ruhrgebiet und in NRW bis vor wenigen Jahren vor Mieterhöhung weitgehend geschützt leben. Durch Verkäufe dieser Wohnungen an Finanzinvestoren aber fanden sich Hunderttausende dieser Mieter in Wohnungen wieder, wo ihre neuen Vermieter plötzlich höhere Mieten verlangten und neue Betriebskosten erfanden, die sie bezahlt sehen wollten. Wer nicht zahlen wollte, wurde mit einer Kündigung bedroht und vor die Gerichte gezwungen. Die früher breit praktizierte zeitlich begrenzte Stundung von Mietschulden hörte auf. Armutsbedrohte Haushalte bekamen damit Probleme. Es traten gravierende Instandhaltungsmängel auf, wurden aber oft nicht behoben. Das wurde auch öffentlich ruchbar. Die Treiber der neuen Wohnungsnot sind im Ruhrgebiet global aktive Finanzinvestoren und Großvermieter, die es ihnen gleich tun möchten. Sie lösten mit ihren Aufkäufen und mit ihrer Beutelschneiderei bei den Mieten größte Verärgerung aus und verschoben das Niveau der Mieten für einfache Wohnungen insgesamt nach oben. Es sind diese Wohnungsnöte, die Hunderttausende von Mietern erleiden und über die in NRW vor allem zu sprechen und zu klagen ist. Es gibt viele Geschichten über erschlichene, erzwungene oder abgewehrte Mieterhöhungen.

Eine kleine Geschichte über eine versuchte, aber illegale Erhöhung von Betriebskosten:7)

Auf die Sicherheit von Rauchwarnmelder vertraut der Mieterbeirat der LEG-Siedlung in Dortmund-Wickede schon länger. Die "LEG Wohnen NRW" war früher einmal ein Mieter schützendes Wohnungsbau- und Wohnungsunternehmen des Landes NRW. Heute ist es ein privatisiertes, Profit orientiertes und an der Börse gehandeltes Wohnungsunternehmen. Eine Reihe von Mietern hat seit Jahren mehrere Rauchwarnmelder in ihren Wohnungen, kontrollierte Ihre Funktionstüchtigkeit und tauschte - wenn nötig - die Batterien aus.

Die LEG Wohnen NRW GmbH will jedoch 2016 in allen Wohnungen neue Rauchwarnmelder anbringen und bestehende Geräte ersetzen. Sie behauptet, lediglich der Landesbauordnung NRW Geltung zu verschaffen. Doch will sie auch einen netten Zusatzgewinn damit machen. Schon 2013 hatte NRW mit Bauordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in § 49 Abs. 7 Rauchmelder in Wohnungen zur Pflicht gemacht Bis Ende 2016 sollen alle Wohnungen in NRW Rauchmelder haben, zumindest die vermieteten. Der Trick der LEG besteht nun darin, in allen ihren Wohnungen neue Rauchwarnmelder einzubauen und die Kosten für die Geräte auf alle Fälle als Modernisierungskosten auf die Mieter umzulegen. Das darf sie nach der Landesbauordnung nämlich. Also müssen die Mieter der LEG erst einmal einen Streit mit ihr darüber anfangen, ob der Einbau neuer Rauchmelder nicht zumindest dort überflüssig ist, wo Melder schon vorhanden sind. Es gibt keine Pflicht der LEG, ältere Rauchmelder auszutauschen. Kein Gesetz zwingt sie dazu, auch nicht dazu, Installationskosten den Mietern als Modernisierungskosten in Rechnung zu stellen. Aber die LEG kann es tun und sie tut es.

Wartungskosten brauchen Mieter nicht zahlen, wenn sie bereits vor dem 01.04.2013 die Wartung vorhandener Rauchwarnmelder übernommen haben, sagt die Bauordnung. Aber die Kosten für die jährliche Wartung der neuen Melder von 18,24 € sollten die Mieter der LEG nun über die Betriebskosten zahlen. Auch darüber musste sich die Mieterschaft erst einmal mit der LEG Wohnen streiten. Durch ihren Mieterbeirat ließ sie der Geschäftsführung ausrichten: "Dies trägt Mieterbeirat nicht mit: "Unsere Rauchmelder funktionieren. Wir sehen nicht ein, hierfür Geld an die LEG zu bezahlen", sagte der Mieterbeiratssprecher Ulrich Braun. Schafft es die LEG, diese kleine, aber feine Mieterhöhung durchzusetzen? Der Mieterverein Dortmund verwies auf ein Urteil des Amtsgerichtes Dortmund aus dem Juli 2014 (AG Dortmund 420 C /29/46/14 vom 02.07.2014): Ein Vermieter wollte neue Rauchwarnmelder anbringen, der Mieter jedoch seine Rauchmelder behalten. Er siegte in diesem Prozess.

Kommunale Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften? Eine neue Dachgenossenschaft für Wohnung und Stadterneuerung in NRW

2006 war die Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung vollständig auf die Bundesländer übertragen worden. Von den staatlichen Förderungsmöglichkeiten für sozialen Wohnungsbau auf Bundesebene war schon 1989 durch die Löschung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoFG ) wenig übrig geblieben. Es war ein neoliberaler Schachzug der CDU geführten Bundesregierung und ein starker Rückschnitt für die kommunale, soziale Wohnraumpolitik, den auch die Länder kaum aufhielten. Die neuen Großvermieter nahmen so schnell wie nur möglich Wohnungen aus der Sozialbindung. Gab es im Jahr 1987 noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland, so verzeichnete die letzte Volks- und Gebäudezählung Ende 2001 nur noch rund 1,8 Millionen Wohnungen. Jahr für Jahr verlieren ca. 100.000 Wohnungen ihren Status als Sozialwohnung. In NRW wurde eine landeseigene soziale Wohnraumförderung aufrechterhalten. Sie wird heute im Auftrag des Landes von der NRW Bank realisiert. Sie ist mit einem nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Sie besteht heute im Wesentlichen aus der Definition berechtigter Nutzer von geförderten Wohnungen. Die Förderung gibt es nur noch als Kredite. Es gibt Tilgungsnachlässe. Es gibt Bindungen für die Miethöhe und Vorschriften für die Wohnungsgröße. Die Förderung war für den Wohnungsbau gemeinnütziger Wohnungsunternehmen lange Zeit nicht mehr attraktiv, auch dann nicht, als sie auf energetische Modernisierung von Bestandswohnungen ausgedehnt wurde. In NRW sanken die Fördermittel im Jahr 2013 auf ca. 800 Mio. Euro. Die NRW Bank konnte selbst diese geschrumpfte Summe wegen wohnungspolitisch unzureichender Vergabekriterien nicht mehr adäquat nutzen. Das änderte sich erst 2015. Die Fördersumme stieg wieder an. Für 2016 ist sie auf eine Milliarde gestiegen. Es gab zusätzliche Bundesmittel und es stiegen die Tilgungsnachlässe für die Kredite. Die höchsten Nachlässe von bis zu 35 Prozent werden für den Bau von Flüchtlingswohnungen und Aufnahmeeinrichtungen gewährt. Es ging in Trippelschritten wieder aufwärts mit der Gemeinnützigkeit. "Im Förderschwerpunkt ‚Neuschaffung von Mietwohnungen' wurden im Jahr 2015 gut 4.800 Wohneinheiten gefördert. Davon entstanden 3.900 im Neubau, 600 durch Um- und Ausbauten im Bestand ... und 300 Plätze in Wohnheimen für Menschen mit Behinderungen.8) .... Im Juni 2015 wurde die ‚Richtlinie zur Förderung von Wohnraum für Flüchtlinge' erlassen. Mit diesem Programm können ... Wohnungen für Flüchtlinge, die noch keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, hergerichtet werden".9)

Ebenfalls alt, gemeinwohlorientiert und ehrwürdig sind Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft, die einen Zweig der Genossenschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts bildeten, als deren Gründer Robert Owen in Großbritannien gilt.. Seit jeher wurden in der Genossenschaftsbewegung nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern auch gesellschaftliche Werte wie Gleichheit, Sozialverantwortlichkeit, Solidarität und Selbsthilfe vertreten, wenngleich auch immer darum gestritten wurde, was damit gemeint war und wie diese Werte und Ziele erreicht werden könnten. Schaut man heute in das deutsche "Gesetz betreffend Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (GenG) in der Fassung von 2006,10) dann sind die alten Ziele noch immer gut aufspürbar. Genossenschaften müssen sich beim Amtsgericht ihres Sitzes eintragen lassen. Eingetragene Genossenschaften müssen einem Prüfverband angehören. Die Prüfverbände stehen unter Aufsicht der jeweiligen Landesregierung, können daher als ihr Instrument gegenüber missliebigen Genossenschaftsgründungen gebraucht werden. Nun haben wir aber in NRW ganz neu die Dachgenossenschaft "Ko-Operativ" Die neue Dachgenossenschaft wurde am 28.10.2016 gegründet. Sie muss noch auf ihre Anerkennung durch einen Prüfverband warten.

Die Grundidee dieser neuen Dachgenossenschaft ist,11) auf genossenschaftlicher Basis Stadterneuerung, Quartiersentwicklung und soziale Wohnraumentwicklung zusammen zu denken und zu organisieren. Das ist kritische Wohnraumpolitik. Kann Wohnraum so für und mit besonderen Zielgruppen geschaffen werden, kann mehr Wohnraum mit öffentlicher Förderung geschaffen werden und zwar für selbst nutzende Initiativen und Projektgruppen, die Zusammenhänge schaffen wollen zwischen Wohnen, Arbeiten, Kultur - sozialer Infrastruktur, Hilfe- und Pflegebedarf? Dass die neue Dachgenossenschaft auch die Ziele verfolgt, für sparsamen Umgang mit Grund und Boden und auf die Ausrichtung der Projekte auf Klimaschutzziele zWu sorgen, versteht sich.

Angeregt und vorbereitet wurde die Gründung von Ko-Operativ e.G. durch die Wohnbundberatung NRW und die Stiftung trias, die hoffen, Anstöße für eine Bewegung von Projektinitiativen in NRW zu bieten. Genossenschaftsinitiativen im Sinne von Ko-Operativ e.G. müssen nun selbst keine eigene Genossenschaft mehr gründen, sondern können Teil einer größeren Genossenschaft werden, was das geschäftliche Risiko der einzelnen Projekte im Projektverbund vermindert. Die Dachgenossenschaft fungiert als Netzwerkknoten für den Austausch. Der Projektentwicklungsprozess folgt einem organisierten Rahmen, strukturiert durch Qualifizierungswerkstätten, die durch die Dachgenossenschaft angeboten werden. Die Dachgenossenschaft bietet Entlastung für Projektgenossenschaften, garantiert aber Selbstverwaltung und Selbstbestimmung für jedes Projektes. Die einzelne Hausgemeinschaft entscheidet über alle ihr Projekt betreffenden Angelegenheiten: Jedes Projekt stellt einen separaten Wirtschaftsplan auf, der mit den beteiligten Banken und Fördergebern abgestimmt wird. Das Eigenkapital wird von der jeweiligen Initiative/Projektgruppe aufgebracht - die wirtschaftliche Verantwortung verbleibt überwiegend im Projekt. Die Organe der Genossenschaft setzen sich aus Mitgliedern der Projekte und Initiativen sowie aus Vertreter/-innen der Partnerorganisationen und weiteren Einzelpersonen zusammen. Die Mitgliederverwaltung und die Buchhaltung können zusammengefasst werden, die örtliche Wohnungsverwaltung wird vom Projekt übernommen. Die neue Dachgenossenschaft in NRW knüpft an die Erfahrungen und Inhalte langjähriger und bewährter "Dachgenossenschaften" in München, Hamburg, Berlin und auch in der Schweiz an und wird von wohnbund e.V. in München unterstützt. Die Arbeiten an der konkreten Projektentwicklung (Gruppe, Grundstück, Klärung der Finanzierung für das Projekt) müssen aus der Projektinitiative und mit ihren Projektpartnern geleistet werden. Hauptamtlich wird erst einmal niemand in der Dachgenossenschaft arbeiten. Sie wird sich dem Prüfungsverband für kleine und mittlere Genossenschaften (PKMG) in Berlin anschließen. Das dürfte auch gelingen, ist doch die Satzung - nach meinem Eindruck - mit der nötigen juristischen Rafinesse nach dem Genossenschaftsgesetz erarbeitet worden. Die Genossenschaft Ko-Operativ Könnte ein Stück widerständiger Wohnungspolitik sein.

Wohnungspolitische Perspektiven

Wie immer bei einem widerständigen politischen Konzept ist freilich offen, in welchem Umfang Ko-Operativ e.G. in Nordrhein-Westfalen Fuß fassen wird. Gelingt es Ko-Operativ e.G, auch, Wohnungsbestände und Wohngruppen zu gewinnen, die ihr Projekt für Bezieher von sozialen Hilfen und Transfereinkommen zu öffnen willens und in der Lage sind, dann ist das ein Schritt vorwärts zu einer sozialen Bodennutzung und Wohnraumversorgung. Dafür kommen - pragmatisch geurteilt - eher Bestandsimmobilien in Frage. Für Mieterinnen und Mieter einer bewohnten Wohnung in einem Quartierszusammenhang wäre es gut, wenn sie beim Verkauf ihrer Wohnung in jedem Fall ein Vorkaufsrecht hätten, wie das seit 1996 in Dänemark der Fall ist. Die Mieter und Mieterinnen haben es in Deutschland allerdings nur nach § 577 BGB bei Umwandlung in Wohneigentum. "Dies Vorkaufsrecht kann durch neugegründete Hausgenossenschaft oder Hausgemeinschaft in einer zum Verkauf stehenden Siedlung wahrgenommen werden", teilte die Enquetekommission zum wohnungswirtschaftlichen Wandel mit.12) Größere Wohnungsbestände, zumal auch vernachlässigte und daher instandsetzungsbedürftige zu erwerben, ist für neu zu gründende Genossenschaften "praktisch nicht zu realisieren", wie Nikolaus Kuhnert in der Enquetekommission feststellte.13) Es fehlt ihnen am Eigenkapital. Für Menschen mit geringsten finanziellen Ressourcen ist schon der Genossenschaftsbeitrag ein Problem. Die Lösung ihrer "Wohnungsfrage" ist es leider nicht. Ko-Operativ e.G. ist also kein einfaches politisches Projekt.

In NRW gab es im Jahr der Enquetekommission zwei größere Übernahmen von krisenhaften Bestandsimmobilien durch bürgerschaftliche Initiativen, die Ölberg e.G in Wuppertal und die Dülkener AG in Viersen-Dülken. In Dülken fehlten "weitere freiwillige Mitarbeiter" und das Geld für "eine professionelle Geschäftsführung", die selbstverständlich die Fixkosten erhöhen würden.14) Also alles noch sehr schwierig. In Wuppertal war der Traum und der Wille im Stadtteil am Ölberg groß, die Problemimmobilien im Viertel in die eigenen Hände zu nehmen Es sollte "zusätzliches Beteiligungskapital eingeworben werden". Mittlerweile gehören der Genossenschaft 2 ½ Häuser. Aber was sonst passiert ist, war doch bemerkenswert.15) Die Bewohnerschaft bekam einen Markt mit frischem Gemüse und Obst am Freitag alle 14 Tage und stellte Sonntags 4 x im Jahr einen Kunst- und Kulturmarkt auf die Beine. Sie inszenierten in der Marienstraße ein "Fahnenmeer"und später eine langen, langen Esstisch im Freien, ein bürgerschaftlich organisiertes nächtliches Fest. Die Ölberg e.G. lebt. Aber so ist es mit den wohnungswirtschaftlichen Träumen von Autonomie und Änderungen eines schlechten in ein gutes Leben. Die Veränderung braucht ewig lang, muss schwer erarbeitet und in vielen Kommunikationen, politischen, persönlichen und bürokratischen, höchst bruchstückhaft voran gebracht werden und überzeugen. Aber warum soll nicht das Projekt Oelberg e.G. letztlich gelingen? Kommunitäre Gemeinschaftsprojekte gibt es massenhaft und weltweit.16) . Ölberg e.G. ist ein politisches Projekt.17) Jede Idee, die sich dem Mainstream verweigert, ist ein politisches Projekt. Mietervereine, die sich gegen die Anpassung des Wohnens an neoliberale Wohnungsmärkte stellen, sind wohnungspolitische Projekte. Sie können erfolgreich sein und sie können mit ihren Ambitionen scheitern. Ein wohnungspolitischer Forderungskatalog ist ein politisches Projekt. Selbstverständlich. Er scheint eindeutiger zu sein. Aber ist er deswegen besser, nobler und durchsetzungsfähiger? Auch er kann an den gesellschaftlichen Machtverhältnissen scheitern.

Aus der Sicht der genossenschaftlichen Wohn- und Quartiersprojekte fehlt auf der politischen Plattform des Landes NRW an einer substantiellen finanziellen Unterstützung für den Aufbau von Wohnungsgenossenschaften. Immerhin macht der Wohnungsmarktbericht NRW 2016 auf die Fördermöglichkeiten durch das Programm "Experimenteller Wohnungsbau" des Landes NRW aufmerksam, das die Finanzierung eines Gründungsgutachtens durch eine Wirtschaftsberatungsgesellschaft ermöglicht, zinsgünstige Darlehen, etwa für den Ankauf von Beständen anbietet und die Finanzierung von Beratungsleistungen in der Aufbauphase des Genossenschaftsbetriebs vorsieht.18) Es fehlt an einer Landesstiftung, die Anteile von Wohnungsgenossenschaften erwerben und damit das Eigenkapital einer Genossenschaft erhöhen kann.19)

Es fehlt an einer Drohkulisse, die Finanzinvestoren wenigstens dazu zwingt, ihren Instandhaltungspflichten nachzukommen. In der Bauordnung NRW wäre die Beteiligungspflicht der Eigentümer für eine angeordnete Instandsetzung oder eine Beseitigung von Problemimmobilien mit Übernahme der Kostenlast zu verankern.

Auf der politischen Plattform des Bundes fehlt es an einem Gesetzgebungsverfahren, das eine zeitgemäße "neue Gemeinnützigkeit" entwickelt und damit das finanzielle Engagement des Bundes für gemeinnützige Projekte der Wohnungswirtschaft und Quartiersentwicklung deutlich steigern würde. Erste Vorschläge von den Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen liegen dafür seit einiger Zeit auf dem Tisch.20)

Es konnte in diesem Papier nicht diskutiert werden, was die Wohnungsfrage vor allem in diesem und dem vergangenen Jahr zurück ins Zentrum politischer Diskurse brachte: die Massenimmigration von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan in die Bundesrepublik Deutschland. So nahm dadurch die Zahl der Flüchtlinge in NRW allein um 231 000 Personen sprunghaft zu. Bis zum Jahresende 2016 könnte eine Marke von 300 000 Personen erreicht werden.21) Das ist ein Vielfaches von dem, was die Massenflucht aus Afrika und dem Maghreb oder dem Balkan in den Vorjahren nach Deutschland gebracht hat. Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl der Asylbewerber nicht wieder auf den Stand von vor 2015 zurückgehen wird, da mögen die Mauern gegen die Zuwanderung nach Deutschland noch viel höher gezogen werden als sie es jetzt schon sind. Es ist ein unerwartet hoher Bedarf nach Wohnungen entstanden und zwar im preiswerten Segment, aber nicht nur dieser. Zweifellos müssen Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylsuchende in Deutschland ein neues zu Hause finden, und zwar umgehend. Die Massenimmigration erschüttert schon jetzt unser politisches Denken auf breiter Front. Der Bedarf und die Bedürfnisse der Immigranten müssen erforscht werden, auch für die Wohnungsfragen, aber nicht nur für sie. Die soziale Lage für die in dieser Gesellschaft Abgehängten und das Ungleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte zeigen sich in Wohnungsfragen deutlich. Es muss für die Gefährdeten erfahrbar werden, dass sich dies alles ändern kann, wenn gemeinsam an einer Verbesserung der Situation gearbeitet wird. Es ist eine naheliegende Möglichkeit, die Wirksamkeit gemeinsamen Handels zu erfahren, wenn in den Kommunen, Quartieren und Wohnungsgenossenschaften für eine sozial gerechte Gestaltung des Wohnens gesorgt wird, plakativ und direkt z.B. über ein soziales Jahr bei der Genossenschaft und über leihen und schenken. Die Massenimmigration hat politische Debatten produziert, die weit über den Rahmen einer Wohnungspolitik hinausgehen - zu Recht. Sie müssen alle geführt werden. Politische Sorgfaltspflicht verbietet es, sie in diesem kurzen Spezialpapier auch nur anzureißen.

Anmerkungen

1) Zu diesem Text hat mich ein Treffen des Gesprächskreises des Vereins AKOPLAN im Oktober 2016 inspiriert. "Reich baut für reich", sagte dort Reiner Stücker, Geschäftsführer des Mietervereins für Dortmund und Umgebung.
2) Ich verfolge damit Ideen eines "postmarxistischen Marxismus", wenn ich es so nennen darf, der zunächst von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe entwickelt wurde. Wichtigster deutscher Exponent: Honneth, Axel (2015): Die Idee des Sozialismus, Berlin
3) Enquetekommission I (2013):Wohnungswirtschaftlicher Wandel und neue Finanzinvestoren in NRW, Landtag NRW, Düsseldorf, Drucksache 16/2299
4) NRW.Bank, Wohnungsmarktbeobachtung (2015): Wohnungsmarktbericht NRW 2015, Düsseldorf. Mittlerweile ist der Wohnungsmarktbericht NRW 2016 erschienen, aus dem ich auch zitiere.
5) Stadt Dortmund (2016): Wohnungsmarktbericht Dortmund 2016, in Forum kommunale Wohnungsmarktbeobachtung www.wohnungsmarktbeobachtung.de. Der Zugang für Leistungsempfänger nach SGB II oder XII zum Wohnungsmarkt ist nicht einfach. Das beschreiben Christiane Barwick und Tanja Blokland in ihrem Aufsatz "Segregation durch Diskriminierung" in B. Marschke, H.U. Brinkmann (Hg.): Ich habe nichts gegen Ausländer, Münster, LIT-Verlag 2015, P.229-243
6) Wohnungsmarkt Ruhr. Dritter regionaler Wohnungsmarktbericht, Essen 2015
7) Es gibt hunderte von Beispielen für versuchte oder gelungene Erpressung von Mieterschaften durch die neuen Großvermieter in Deutschland. Die meisten wurden und werden nie dokumentiert und geraten dadurch regelmäßig in Vergessenheit. Im Abschlussbericht der Enquete Kommission I gibt es Beispiele für unverschämte Mieterhöhungen auf den Seiten 197 und 198. Unger, Knut schrieb ein umfangreiches Papier "Weiterentwicklung rechtliche Instrumente als Antwort auf die Geschäftsmodelle Finanzmarkt orientierter Vermietungskonzerne" als Grundlage eines Vortrags auf der Mieterkonferenz Bezahlbares Wohnen (18.9.2016) in Berlin., unveröffentlicht. Nur für "Vonovia" gründete sich 2013 ein bundesweites Aktionsbündnis von Mietervereinen und Mieterinitiativen, das seit der Gründung ständig wuchs und gegen das Vergessen anarbeitet. Es wurde und wird noch immer vom DMB-Bezirk NRW organisatorisch unterstützt. Es verständigt sich über eine mailing-Liste, führt aber auch Jahrestreffen durch.
8) Wohnungsmarktbericht NRW 2016, S. 40
9) Wohnungsmarktbericht NRW 2016, S. 41
10) https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/geng/gesamt.pdf
11) Karhoff, Brigitte und Mitarbeiterinnen der Wohnbundberatung NRW (2016): Neue geno info-papier. Aus diesem Papier zitiere ich nun mehr oder weniger ausführlich
12) Enquete Kommission I, Wohnungswirtschaftlicher Wandel S. 265
13) Enquetekommission I, Wohnungswirtschaftlicher Wandel, S. 323
14) Enquetekommission I, Wohnungswirtschaftlicher Wandel, S. 311
15) Neueste Informationen auf www.nord-stadt.de
16) sieh www.oekodorf.gemeinschaften.de oder mail to oekodorf@gemeinschaften.de
17) Auch die Wuppertal-Bewegung ist ein politisches Projekt, in diesem Jahr 10 Jahre alt , ein-Recht-auf-Stadt-Projekt, vital durch ihr Bürgerengagement für die Nordbahntrasse, einem Radweg auf einer ehemaligen Trasse der Rheinischen Bahn von Ost nach West durch Wuppertal, mitsamt den Gastronomien an der Trasse, namentlich dem Mirker Bahnhof mit angedocktem Creativ Zentrum von "Utopia Stadt, Wuppertal"
18) Wohnungsmarktbericht NRW 2016, S. 63
19) N. Kuhnert schlug der Enquete Kommission des Landtags schon 2012 die Bildung eines genossenschaftlichen Investitionsfonds vor, Abschlussbericht der Enquete Kommission, S. 243
20) Nikolaus Kuhnert (2015): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit (NWG) - Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum; Die Linke/Anrey Holm (2016): Gemeinnützigkeit versus Profitlogik.
20) Die Wohnungsmarktberichterstattung der NRW.BANK und der nordrhein-westfälische Bauminister haben früh mit einer Flüchtlingsmodellrechnung begonnen und Ergebnisse davon im Wohnungsmarktbericht NRW 2016, S. 10-19 veröffentlicht.