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Gibt's das? 47 Wohnungen seit 10 Jahren leer?
(21. Juni 2016)

Es war ein ziemlicher Blödsinn, 1971 einen Privateigentümer am Südring 282 in Datteln einen zwölfstöckigen Wohnturm mit 47 Mietwohnungen bauen zu lassen. Die Lage war abscheulich: Vorn die dicht befahrene Bundesstraße B 235 und darum herum einige abgerockte, kleine Wohnhäuser und in die Jahre gekommene Gewerbebauten. Die Strukturkrise und der Bevölkerungsschwund des Ruhrgebiets waren schon in den 1970ern recht gut entwickelt.

Der Absturz des Dattelner Wohnturms nimmt Fahrt auf

Darum legte der erste Eigentümer des Dattelner Wohnturms 1983 flott eine Insolvenz hin, - sicher von seiner Bank aufgefordert, die wenigstens die Grundsumme des Baukredits wiedersehen wollten. Bei der Abwicklung der Insolvenz gingen die 47 Hochhauswohnungen einzeln - vermutlich für bescheidene Summen - über den Ladentisch. Ein kleinerer Dattelner Immobilien-Kaufmann wie Ralf Lomparski, konnte sich 27 der 47 Wohnungen leisten, andere kauften nur eine. Alle griffen in der Meinung zu, das Investment ihres Lebens gemacht zu haben. Was für ein kapitaler Irrtum! Die große Sause für die Eigentümergemeinschaft Südring 282 dauert nicht lang. Schon bei kleineren Reparaturen kam sie ins finanzielle Stottern, wusste man in Handwerkerkreisen. Und so kam der Dattelner Wohnturm mit Ralf Lomparski unter die "bad news" in die Lokalzeitungen. 1991 riss ein Sturm zu allem Unglück große Stücke der Dämmung und Fassadenverkleidung vom Wohnturm in Datteln ab. Für die notwendige Reparatur kam das Geld bei den Eigentümern nicht mehr zusammen. Die Stadt Datteln war gezwungen, den Rest der Fassadenverkleidung abzumontieren und sich das Geld dafür wer weiß woher zu holen. Die Reste der lockeren Fassadenverkleidung hätten beim möglichen Herunterfallen Menschen erschlagen oder verletzen und Autos demolieren können. Diese Gefahr musste die Stadt auf alle Fälle anstelle der Eigentümer beseitigen. "Ersatzvornahme" nennt man so was. So fiel der verehrten Allgemeinheit in Datteln die Schrottimmobilie Südring 282 zum ersten mal vor die Füße.

Es kommt zur Räumung am Dattelner Südring

2005 - 2006 häuften sich die finanziellen Probleme. Der Stadtverwaltung blieb Ralf Lomparski, der die Hausverwaltung übernommen hatte, eine "mehrstellige Summe" für Grundsteuern und Abwassergebühren schuldig. Dem Energieversorger E.on-Fernheizung bezahlte Ralf Lomparski im Jahr 2005 die Gebühren der Fernheizung im Wohnturm auch nicht mehr, nachdem er schon in den Vorjahren nur stets verzögert und in kleinen Beträgen hatte zahlen können. Etwa 8.500 Euro war er nun auch der E.on schuldig. Mahnungen blieben unerhört, eine vereinbarte Ratenzahlung für die Gebührenschulden an Stadt und E.on hielt er nicht ein. Deswegen stellte E.on die Heizung im Dezember 2005 für das ganze Hochhaus ab, dann auf Intervention des Dattelner Bürgermeisters wieder an. Denn noch lebten 50 Personen in dem Haus, darunter Familien mit Kindern. Alle lebten von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. E.on-Fernheizung kündigte nun den Wärmeliefervertrag, um schließlich im Juni 2006 die gesamte Heizungsanlage zu demontieren. Auch die Stadtverwaltung Datteln begann die Geduld mit dem säumigen Schuldner Lomparski und seinen Miteigentümern zu verlieren.

Irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahres 2006 hatten wohl Bauamt und Rat der Stadt Datteln von den Faxen mit dem 12-Stock-Hochhaus am Südring genug. Sie wurden nun amtlich. Sie schickten im Oktober eine "Nutzungsuntersagung" und eine "Unbewohnbarkeitserklärung" nach § 8 Wohnungsaufsichtsgesetz NRW heraus und ließen den Wohnturm im November räumen. Treppenhaus und Flure wurden entrümpelt und versperrt. "Verfügungsberechtigte" wie Ralf Lomparski und die "Bewohnerschaft", also die Mieter, waren "verpflichtet" die Räumung zu "dulden" und den "Wohnraum vorübergehend oder dauernd zu räumen" (§ 11,3 WAG). Seit dem November 2006 ist der Wohnturm in Datteln unbewohnt und unbewohnbar. Das Wohnungsaufsichtsgesetz NRW half festzustellen, dass es im Wohnturm "zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gebrauchs zu Wohnzwecken" gekommen war, wie es in schönem Juristendeutsch heißt, wogegen Datteln mit Ordnungsstrafen und bis zur "Nutzungsuntersagung" und zur "Räumung" der Wohnungen vorgehen konnte, weil die Eigentümer den "ordnungsgemäßen Gebrauch zu Wohnzwecken" nicht gewährleisten konnten oder wollten.

Damit war dann aber auch Schluss mit den Zugriffssmöglichkeiten der Politik auf den Südring 282. Eine Enteignung zu Gunsten der Allgemeinheit oder neuer Eigentümer, die das Wohnen wieder möglich machen könnten, ist im Wohnungsaufsichtsgesetz nicht vorgesehen. Der Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes unserer Republik lautet zwar: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Aber eher nicht so sehr, wie wir wissen. Kein einziges Wohnungsaufsichtsgesetz in Deutschland sieht ein Enteignungsinstrument für solche Immobilien vor. So fiel dies Hochhausgerippe der Stadt Datteln zum zweiten mal vor die Füße, ohne dass an ihrem desolaten Zustand etwas zu ändern gewesen wäre. Bereitschaft zur Aufgabe des Eigentums gab es bei den Eigentümern nie. Verhandlungen darüber blieben regelmäßig ergebnislos.

Wie die Geschichte weiter ging

13 Jahre später hieß es in einem Prozessprotokoll, in dem es um Grundsteuerschulden von Ralf Lomparski in der Höhe von 17.000 Euro ging, die Eigentümer seien zum Teil nicht auffindbar: "Einer ist im serbischen Krieg verschollen, einer hat einen Vormund, zwei sind verstorben", gab Lomparski zu Protokoll und er setzte den Richter mit dem Bekenntnis in Erstauen, er habe weder Geld für fällige Brandschutzmaßnahmen noch für die Bezahlung der Grundsteuern: "Ich bin Hartz IV-Empfänger." Lomparski hatte nämlich Klage gegen die Stadt Datteln erhoben, seine Steuerschuld erlassen zu kriegen. Denn er habe ja seit 2006 seine Wohnungen nicht wirtschaftlich verwerten können, weil die Stadt Datteln den Wohnturm zugesperrt habe. Herr Lomparski bekam unglaublicher Weise teilweise Recht und konnte einen Vergleich erreichen, mit dem ihm 3/4 der Steuerschuld erlassen wurden. Statt mit 17.000 Euro Schulden an die Stadtkasse kam er mit 4.280 Euro aus dem Amtsgericht.

Danach versuchte sich kleines, vagabundierendes Privatkapital an dieser Immobilie, und das ging immer so: Es wurde eine GmbH gegründet, die mit großartigen, aber leeren Versprechungen über ein neues, großes Projekt Südring 282 antrat, sich als Kapitalsammelstellen anbot, dann die bekannten Eigentümer, natürlich auch Ralf Lomparski, und deren Gläubiger ins Boot zu holen versuchten, was regelmäßig scheiterte. Der Brocken, der da zu schlucken gewesen wäre, war zu groß oder die Hoffnungen, doch noch einen Millionen-Deal im Grundstückverkauf hinzubekommen, zu irrsinnig oder die finanziellen Zumutungen für Datteln oder das Land NRW in Punkto Förderung des Projekts völlig unzumutbar. Eine Refinanzierung über den Kapitalmarkt war wegen des ins Bodenlose gesunkenen Werts des vernachlässigten Dattelner Wohnturm und der fehlenden Nachfrage nach Wohnungen nicht drin. Nachdem Kredite auf das eingesammelte Kapital aufgenommen, mit dem Geld anderer Leute eine Weile gespielt worden war und dann die Kreditzinsen nicht mehr bedient werden konnten oder wollten, war Insolvenz die Regel.

Als "Steuer Oase" pries beispielsweise eine WEP (Wohnpark Emmerich GmbH) das herunter gekommene Hochhaus am Südring an. Ihr Geschäftsführer Heinz Evert "würde am liebsten sofort mit der Sanierung beginnen", ließ er in der Recklinghäusesr Zeitung berichten. "Aber zuvor muss die Stadt planen und der Rat entscheiden", darüber nämlich, dass das Viertel rund um das Hochhaus zum Sanierungsgebiet erklärt wird. Als ob damit eine Gelddruckmaschine erfunden wäre! "Während die Staatsanwaltschaft in Bochum", so berichtete dann die Marler Zeitung 2014, "ihre Ermittlungen gegen die Insolvente Gesellschaft WEP ausgeweitet hat, schmiedete eine 2015 gegründete Renovita GmbH schon neue Pläne" für den Wohnturm. Sie ist als Projektentwicklungs GmbH unter Klaus Sonnabend, Dortmund, als Geschäftsführer in der Liste der Industrie- und Handelskammer wirklich eingetragen. Er behauptete in der Lokalpresse, alle 47 Wohnungen im Wohnturm Datteln instand setzen und modernisieren zu wollen. Mit welchem Geld er das tun wollte, hat Klaus Sonnabend bisher nicht verraten.

Südring 282 kein Einzelfall

Die bekanntesten unbewohnten Häuser im Ruhrgebiet stehen heute in Dorsten-Barkenberg und in Dortmund. Unter den 140 in Dortmund gezählten unbewohnten Häusern ragt die Kielstraße 26 mit 102 Wohnungen heraus. Ihre Geschichte ist der des Dattelner Turms ähnlich. Auch hier ist der Leerstand das Ergebnis einer gescheiterten klein-klein Privatisierung ehemaliger Sozialwohnungen. Die Mehrheit von Kleininvestoren hatte sich beim Wohnungskauf in diesem Hochhaus finanziell übernommen und war alsbald insolvent. 2002 ließ die Stadt Dortmund den Dortmunder Turm räumen und zumauern. Seitdem sucht sie die alten Eigentümer in der halben Welt, um sie zu einem öffentlich-rechtlich tragbaren Kaufpreis zu überreden. Das hat noch immer nicht geklappt. So schaut's aus.