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Deutsche Wohnungswirtschaft - Krise als Kommunikationskonzept II
(14. Dezember 2015)

Flüchtlingsmigration und Wohnungspolitik 2015

Anlass und Stichworte zu einer aktuellen grundsätzlichen Debatte der deutschen Wohnungspolitik liefert fataler Weise zur Zeit die Flüchtlingsmigration nach Europa und nach Deutschland. Sie hat - wen wundert es - seit März 2015 zu einer starken Nachfrage nach kleinen und preiswerten Wohnungen geführt, die selbst in Schrumpfungsregionen wie dem Ruhrgebiet den Wohnungsmarkt davon leer gefegt hat1). Bastian Pütter von der Obdachlosenzeitschrift Bodo warnte vor der Gefahr, dass selbst geduldeten oder anerkannten Asylbewerbern der Absturz in die Obdachlosigkeit nicht mehr erspart werden könnte. "Gleichzeitig bestehen wir darauf, dass Arme und Wohnungslose nicht ein weiteres Mal zu Verlierern eines falschen Konkurrenzkampfs gemacht werden. Wir brauchen schnelle Strategien zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle."2) Das meint er. Doch eine schnelle Strategie zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums für alle ist nicht auf dem Weg und auch nicht gut vorstellbar.

Die politische Auseinandersetzung um Wohnraum für Flüchtlinge und Asylsuchende ist extrem hart. Der Konkurrenzkampf ist im vollen Gange, - ob man es will oder nicht. Und der Konkurrenzkampf geht nicht einmal um bezahlbaren Wohnraum für alle, sondern schon um Wohnungsprovisorien für Flüchtlinge. Die deutsche Bevölkerung ist in Flüchtlingsfragen deutlich gespalten. Es entstand einerseits eine große Hilfsbereitschaft und ein sich Einbringen für die Aufnahme der Hunderttausenden von Flüchtlingen in Deutschland. Die Administratoren und Fachleute der Flüchtlingsbetreuung arbeiten bis zum Umfallen. Andererseits gibt es auch in schnellem Rhythmus Brandstiftung in Erstaufnahme-Wohnungen, fremdenfeindliche Kundgebungen, lokale Protestmärsche und das Wachsen der Pegida-Bewegung. Selbst ehemalige Schulen, Turnhallen und Gewerbehallen werden für Flüchtlingsinitiativen und zu oft provisorischen Wohngelegenheiten umgerüstet oder umgebaut. Der "kleine Dienstweg" macht es möglich oder das Umdeklarieren zu sogenannten fliegenden Bauten. Andererseits gibt es eben dadurch Unzulänglichkeiten am Bau oder an dessen Einrichtung. Sie finden den Weg in die Proteste, aber auch den Weg in die Qualitätsmedien. So berichtete die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift "Apokalypse" über das Dorf Einsiedel in Sachsen, wo seit dem Sommer 2015 ein ehemaliges "Pionierlager" oberhalb des Dorfes zu einer "Erstaufnahme" von Flüchtlingen umgebaut und eingerichtet werden sollte. Flüchtlinge sind aber bis heute dort wegen regelmäßiger, xenophober Protestmärsche in Einsiedel nicht angekommen. In Einsiedel wurde die angeblich zu großzügig angewandte Bauordnung direkt angegriffen. Der CDU-Stadtrat Falk Ulbrich ließ sich in der SZ mit der Äußerung zitieren: "Viele Einsiedler haben regelrecht um Baugenehmigungen und Brandschutzgutachten für ihre Häuser gekämpft. Und nun sehen sie, dass alles ganz schnell gehen kann, oder ein Auge zugedrückt wird."3)

Viele Städte und Wohnungsbaugesellschaften mobilisieren jedoch Leerstände. Sie bieten Immobilien als Unterbringungseinrichtungen für Flüchtlinge dem Land an. Sie organisieren Betreuungsplätze für unbegleitete Jugendliche so gut sie können, sind aber gestresst und oft unzufrieden mit der Landesregie und -bürokratie. Sie könnten auch gut mehr Geld für Flüchtlingsbetreuung und Flüchtlingsunterkunft gebrauchen. Es gibt aber kein Extrageld dafür aus Landes- oder Bundeskassen. Der zuständige Landesminister in NRW sieht keinen Handlungsbedarf, weder zum Guten noch zum Schlechten. Aber in Wirklichkeit müsste das Land NRW schon längst über Unterbringungszentren für Flüchtlinge und ihr Standorte entschieden haben. Hat es aber nicht getan, worüber sich Regierungsbezirke und Kommunen ärgern. Er lässt die Gemeinden Arbeitskreise bilden und u?bernimmt für dieses Nichts die "Schirmherrschaft"4). Die staatlichen Strategien sind, sich wegzuducken. Die Kontroverse wird auf dem Feld der Asyl- und Grenzenpolitik ausgetragen. Bildungspolitisch oder wohnungspolitisch tut sich nichts. Die Bundesregierung wird vermutlich die Kommunen die Bundesanstalt für Arbeit mit der erhöhten Nachfrage nach Hartz IV-Bezügen sitzen lassen, auf den die Flüchtlinge Anspruch haben, wenn ein großer Teil von ihnen ab 2016 als anerkannte Asylbewerber gelten. Sie springen dann aus der extrem bescheidenen staatlichen Grundsicherung, können dann in Ausbildungen oder Jobs gehen. Die Bundesministerin für Arbeit, Nahles, rechnet damit, dass 300.000 bis 350.000 Flüchtlinge Bleiberecht erhalten, aber auch damit, dass 35% von ihnen Arbeit erhalten können und für sich selbst sorgen können. Fachleute halten das für überschätzt. Denn bisher hatte eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit ermittelt, dass "in der Vergangenheit nur 8% der Flüchtlinge im ersten Jahr eine Beschäftigung gefunden" hatten.

Die Bundesregierung sollte wohnungspolitisch wenigstes vorsorglich eines tun: Sie müsste ihren Anteil an den Kosten der Unterkunft (KdU) für die Kommunen von derzeit 26,4% deutlich anheben, zum Beispiel auf 39 oder 40% anheben.

Aber der Kampf um die zukünftige Orientierung der Wohnungspolitik hat Fahrt aufgenommen. Die Flüchtlinge können sich als Fahnenträger für Wohnungsnot nicht dagegen wehren, auch für Deregulierungslust und Standardabsenkung in der Wohnungswirtschaft herzuhalten.

Zukunftsfeste Orientierung der Wohnungspolitik?

Die generelle Mantra der privaten Wohnungsunternehmen erlaubte sich vor Kurzem Thomas Hegel zu formulieren, der Vorstandsvorsitzende der LEG Immobilien AG5): "Im Immobilienmarkt gilt folgende Faustregel: Bauprojekte mit einer Eigenkapitalverzinsung von unter 4 Prozent lohnen sich für Investoren nicht. Um attraktive Mieten anbieten zu können, müssen die Kosten im Rahmen bleiben. Und selbst bei hohen Marktmieten von über 12 Euro pro Quadratmeter ist Neubau erst rentabel, wenn die Baukosten-Schwelle von 2.500 Euro je Quadratmeter nicht überschritten werden. Zudem genügen bei einem Fremdkostenanteil zwischen 60 und 85 Prozent Zinsabweichungen von Zehntel-Prozentpunkten - und das Projekt wird für Investoren uninteressant." ..... "Einkommensschwächere Haushalte benötigen preiswerten Wohnraum. Die Politik kann ihren Beitrag leisten, indem sie den Neubau ankurbelt, ihre städtebaulichen Verträge auf den Prüfstand stellt und Bauflächenausweisungen und Genehmigungsverfahren beschleunigt. Zudem sollte sie die geplante Verschärfung der Energieeinsparverordnung aussetzen und die Abschreibungsmöglichkeiten für Neubauten zum Beispiel auf 4 Prozent verdoppeln." Sein Kollege im Geist stellt in der Randspalte zu Hegels Artikel die Beziehung zu den aktuellen Flüchtlingsbewegungen her und sekundiert: "Ein nicht unerheblicher Teil der Neuankömmlinge" werde "auch mittelfristig bleiben - und vor allem dort Wohnraum suchen, wo schon heute die Nachfrage oft das Angebot übersteigt. Deshalb müssen wir dringend diskutieren, welche Regulierungen im Bereich Bau und Wohnen auf den Prüfstand müssen, um zumindest die drängendsten Probleme der Flüchtlingsunterbringung zu lösen und zum Beispiel schneller bauen zu können." Hat die LEG für ein passendes Demonstrationsvorhaben erst kürzlich 14.000 Wohnungen "mit geringerem Standard," wie es hieß, von der Vonovia, ehemals Annington erworben?

Die Hegelsche Mantra erkennt man in einem Interview wieder, das zwei Journalisten der Süddeutschen Zeitung mit Florian Pronold führten. "So einen Quatsch muss man beseitigen!" Das war der Titel über dem Interview und eine rüden Abfuhr für Modernisierungsbemühungen in der Regulation des deutschen Wohnungsbaues der jüngeren Vergangenheit. So sieht Pronold, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbau-Ministerium, die aktuellen wohnungspolitischen Aufgaben.6) Anfangs klopft er sich und seiner Ministerin für die Wohnungspolitik der letzten Jahre auf die Schulter: "Wir haben zum Beispiel die Wohnraumförderung verdoppelt. Wir haben in der Koalition entschieden, bald steuerliche Anreize für den Neubau zu schaffen. Und wir haben erreicht, dass der Bund seine Grundstücke nicht mehr zum Höchstpreis abgibt. Das sind alles Dinge, die jetzt umgesetzt werden." Dann muss er doch zugeben, dass in der Wohnungspolitik "mit der Föderalismusreform 2006 der Bund fast alle Zuständigkeiten an die Länder verlor" und dass dies "ein grundlegender Fehler" war. Auf die Frage nach dem Warum fällt Pronold nicht das Richtige ein, sondern lediglich, dass "viele Länder ... falsche Prioritäten gesetzt" haben. "Sie haben mit den Wohnungsbaumitteln vom Bund zum Beispiel Unternehmen günstigere Zinsen angeboten. Aber kein Bauträger kommt auf die Idee, Sozialwohnungen zu bauen, nur weil die Zinsen ein bisschen niedriger sind. Günstige Zinsen bekommt er auf dem freien Markt sowieso".

Dann geht es um Deregulierung. Pronold sagt nun: "Es gibt drei Ebenen, die das Bauen schwieriger gemacht haben: Den Bund, die Länder und die Kommunen. Auf allen drei Ebenen muss man jetzt radikal ansetzen, um zu echten Vereinfachungen zu kommen. ... Bei den Standards sind wir in vielen Punkten zu weit gegangen. Es sind viele kleine Dinge, die das Bauen unnötig kompliziert machen. Ich gebe ihnen mal ein Beispiel. In Berlin sind je nach Stockwerk unterschiedliche Höhen für Treppengeländer vorgeschrieben. Aber es ist immer gefährlich, herunter zu fallen, egal aus welchem Stockwerk - wozu braucht man dann unterschiedliche Geländerhöhen? Das ist Wahnsinn ....." Und so geht es weiter: "Wir sollten viel stärker eine Mischung von Wohnen und Gewerbe zulassen. Wir müssen im Bund den richtigen Rahmen geben. Das heutige Leitbild der Baunutzungsverordnung und des Baugesetzbuches kommt aus den Fünfziger Jahren. Heute ist es völlig veraltet. .... "Wir müssen mehr in die Höhe bauen, sowohl im Neubau als auch mit Nachverdichtung im Bestand" ..... "Die Baunutzungsverordnung sollte daher eine höhere Geschossflächenzahl ermöglichen". ... Und es gibt Bauvorschriften, auf die man vollständig verzichten kann und er führt als Beispiel die "Stellplatzverordnungen für Wohnungsbau" an, denn "mit dem Verzicht auf eine Tiefgarage kann man die Kosten für den Wohnungsbau um 20 Prozent reduzieren". Nach dieser Vorlage gehen die beiden Interviewer aufs Ganze und legen Florian Pronold ihre Variation der "Flüchtlingsfrage" vor. Sie fragen nämlich:" Könnten sich niedrigere Standards für Flüchlingsunterkünfte auch insgesamt durchsetzen, weil man sieht, dass so schneller und ohne Abstriche bei der Qualität gebaut werden kann?" Und Pronold antwortet einerseits treuherzig und andererseits abwehrend: "In bestimmten Bereichen könnte das ein positiver Nebeneffekt sein. Es wäre aber ein Fehler, dauerhaften Wohnungsbau nur für Flüchtlinge zu schaffen. Es soll einen guten Wohnraum für alle geben."

Die Prognosen der möglicherweise in Deutschland zu behausenden Flüchtlinge aus Syrien, dem afrikanischen Kontinent und aus Ostmitteleuropa sind schon lang durch die Decke geschossen. 300 000 waren es im Februar, 450 000 im Mai und 800 000 im August. 1,5 Millionen pro Jahr an Einwanderern werden schon genannt und sind wahrscheinlich nah an der Realität, mit der wir zu rechnen haben.

Die Schätzungen zur Obdachlosigkeit fügen sich passgenau zu einer Dramatisierung der Lage. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe zufolge sind 335.000 Menschen in Deutschland sind ohne Wohnung - so viele wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Fast 40.000 von ihnen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren massiv angestiegen7) . Man muss bis 2018 mit mehr als einer halben Million Wohnungsloser rechnen, was nahezu einer Verdoppelung der Obdachlosigkeit in vier Jahren entspräche. Die Bundes Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe lässt sich freilich nicht für einen Konkurrenzkampf mit der Flüchtlingshilfe funktionalisieren. Der Sprecher der Bundes AG der Wohnungslosenhilfe sieht klar, dass die Flüchtlingswanderung aus dem Mittelmeerraum "die Krise auf den Wohnungsmärkten nicht ausgelöst hat, sondern als ein Katalysator wirkt, der das ganze Ausmaß der Fehlentwicklungen und politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahr offen zu tage treten lässt". Welche waren es denn?

Aber gleichwohl hätte die Süddeutsche Zeitung wahrscheinlich gerne die Flüchtlinge als Schuldige einer neuen Wohnungsmarktkrise entlarvt. Sie betitelt einen Artikel am 7. Oktober mit "Im Häuserkampf" und ließ die Leser im einleitenden Teil durch Geschichten von erzwungenen Auszügen zugunsten von Flüchtlingen durch den Journalisten in Pegida-Stimmung bringen: "Eine 56 Jahre alte Frau lebt seit 23 Jahren in einer Dreizimmerwohnung in Eschenbach. Die Gemeinde hat der Frau gekündigt, um Flüchtlinge in der Wohnung unterzubringen." Oder "in Nieheim lebt eine 51 Jahre alte Frau seit 16 Jahren in einer 90-Quadratmeter-Wohnung. Die Stadt hat gekündigt. Eigenbedarf. ... Mittlerweile sind Fälle aus Osnabrück, Niederkassel oder Lindlar bekannt. In Hamburg wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach Beschlagnahmung von Immobilien möglich ist. In Berlin, Brandenburg und Bremen wird nachgedacht, Flüchtlinge in enteigneten Räumen unterzubringen".8) Gerhard Matzig brach freilich nach der Hälfte seines Artikels das Zündeln an dem Widerspruch Flüchtlinge versus Obdachlose ab, dreht den Spieß um und verlangte eine "Reanimation des zuvor vorsätzlich ausgehungerten sozialen Wohnungsbaus" und zog das Fazit: "Das Wohnen ist ein öffentliches Anliegen, es kann nicht allein der Privatwirtschaft überantwortet werden. Die Privatisierung städtischer Wohnungsbauträger in den letzten Jahren war ein Fehler." Vielleicht war dies ein Akt des Widerstands gegen das Kommunikationskonzept der Süddeutschen Zeitung in Sachen Wohnungspolitik und ein Grund dafür, warum sie ihre Serie zur Wohnungsmarktkrise in Deutschland nach dem 7.Oktober erst einmal einstellte.

Denn selbst im eigenen Blatt haben die großen Wohnungskonzerne, die sich in den letzten 10 Jahren in Deutschland bildeten, zusammen fusioniert wurden und schließlich an die Börse gingen, eine miserable Presse. "Die Mieter schauen ohnmächtig zu", übertitelte die Süddeutsche ihren Wirtschaftsreport über die geplante Großfusion von Vonovia, alias Annington und Deutsche Wohnen. Lauter Schauergeschichten von Vernachlässigung der Wohnungen, vom Überhöhen der Betriebskosten und vom Einsparen von Investitionen durch die neuen Vermieter in Großsiedlungen von Wuppertal bis München und von spekulativen Milliarden- Einkäufen und Verkäufen bei Bestandswohnungen, die die Mieten in die Höhe treiben werden, um damit Banken und Investoren zu bedienen.

Fast übersehen habe ich freilich in meinem Bericht über die Negativliste des Wirtschaftsreports der SZ einen Absatz, der vom entspannten Umgang erzählt, den die Mieter in dieser Turbulenz mit der Sache selbst pflegen. "Im ehemaligen katholischen Gemeindezentrum sitzen sechs Mieter an einem rechteckigen Tisch ... Frau Neumann spielt hier regelmäßig Karten mit den anderen Senioren aus der Siedlung. Was ein Finanzinvestor genau macht, wissen sie hier nicht so genau. Sie wollen aber, dass alles möglichst reibungslos funktioniert. Am liebsten hätten sie wohl die guten alten Zeiten zurück. ... In vielen Wohnungen hier im Rehsiepen wohnen Mieter, die Sozialleistungen beziehen. Tatsächlich klagt auch kaum jemand über die Höhe seiner Miete. Sparen können Investoren aber an Investitionen und an den Betriebskosten" Aber in Wuppertal-Rehsiepen haben die Bewohner selbst ein Haus übernommen "und investieren nun in eine bessere Zukunft".9) Ich werde auf diese Entspanntheit weiter hinten zu sprechen kommen.

Ebenfalls äußerst kritisch berichtete die Rheinische Post über die Verwandlung des Deutschen Wohnimmobilienmarktes in einen Markt der Finanzanlagen, wo sich die Anleger durch den Börsengang als Wohnungsunternehmen tarnen. Der Titel "Häuserkampf in NRW " und bezeichnet das, was darunter aufgeschrieben wurde als Analyse10). Der Text von Thomas Reisener wählt wie selbstverständlich den Einstieg über die Probleme der Unterbringung der Flüchtlinge und lässt den NRW-Bauminister Michael Groschek sagen: "Klar, wenn die Kommunen noch alle ihrer Wohnungsgesellschaften hätten, wäre jetzt alles einfacher", um dann auf die LEG zu sprechen zu kommen, "jene chronisch defizitäre und zum Teil auch kriminelle Immobiliengesellschaft des Landes" ,um an diese Beschimpfung den zynischen Satz anzuschließen: "Die für Steuerzahler teuren und für Wohnungspolitiker himmlischen Zeiten sind für immer vorbei." Dann wird ein Stück Leidensgeschichte der letzten 30 Jahre gemeinnütziger Wohnungswirtschaft erzählt, aber nicht nur dieses: "Wer Anfang der 70er Jahre in eine Zechensiedlung der Gelsenkirchener Bergwerks -AG zog, hatte seither sechs Vermieter - ohne je umgezogen zu sein. Es gab aber vorher Zeiten sicherer Mietverhältnisse Gagfah, das bedeutete früher einmal "Niedrige Mieten, mäßig interessierte Vermieter: Wer in diesen Wohnungen wohnte, hatte wenig zu erwarten. Aber auch nichts zu befürchten." Jetzt ist das vorbei: "Der Turbokapitalismus hat Gefallen an den deutschen Mietern gefunden und sein bevorzugter Spielball sind die großen Wohnungsbestände in NRW."

In der Tat: Über Unternehmen wie die Wohnstätten AG und andere ging der Bestand der Gelsenkirchener Bergwerks AG 1998 an Veba Wohnen, bevor aus Veba der Energiekonzern Eon wurde". Eon verkaufte 2005 an die schon damals wegen ihres britischen Finanzmarkthintergrund berüchtigte Annington, die dann vor nicht allzu langer Zeit die längst privatisierte Wohnungsgesellschaft Gagfah schluckte und seit drei Wochen unter dem neuen Namen Vonovia im DAX notiert ist. Sie will mit dem Geld von Blackrock und anderen US-Großinvestoren weitere Wohnungsbestände aufkaufen will. Sie plant die feindliche Übernahme der "Deutschen Wohnen". Dabei handelt es sich um 147 000 Wohnungen, für die inklusive der Finanzierungskosten 13 Milliarden Euro aufgewandt werden sollen11) . Dann hätte Vonovia 500 000 Wohnungen in Deutschland. In ihren Händen dürfte sich dann die überwiegende Mehrheit ehemaliger deutscher Werkswohnungen befinden. Keine Probleme haben die jeweils neuen, immer größeren Börsen-basierten Wohnungsunternehmen mit der deutschen Grunderwerbssteuer. Sie zahlten schon bisher so gut wie keine. Denn sie kauften Wohnungsbestände meist in sogenannten "Share Deals" auf, indem sie einer Schattenfirma fünf Prozent der Gesellschafter-Anteile überschrieben, sie aber auch den gesamten eingekauften Bestand übernehmen ließen. 95% des faktischen Werts der Übernahme blieb so unbesteuert. Für den Wert des 5%-Anteils wurde Grunderwerbssteuer gezahlt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schweigt beharrlich zu alledem, beschwert sich aber darüber, dass sich im Zuge des "Flüchtlingsanstroms die Wohnungsnot verschärft hat," weswegen der deutsche Finanzminister Schäuble (CDU) sich zu einer Sonderabschreibung von 10% auf die Erstellung von Neubauwohnungen in den Jahren 2016 bis 2020, wohlgemerkt nur in Städten mit angespannter Wohnungslage wie Hamburg, München, Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Hannover, der Rheinschiene in NRW und im Raum Freiburg, habe überreden lassen. Sie stehe im Widerspruch zu einer Mietrechtsnovelle seines Kollegen Heiko Maas (SPD), der Mieter vor überhöhten Mietsprüngen in der Folgen von Modernisierungsumlagen schützen wolle. "Mit der Reform des Mietrechts tritt die Regierung auf die Bremse (Horrorkatalog), mit der Sonderabschreibung gibt sie Gas. Am besten wäre es, wenn sie einfach auf beides verzichtet."12)

Ist das in den nächsten 10 Jahren zwingend das Panorama der deutschen Wohnungswirtschaft und -politik? Ist der ständige, massenhaft Skandal behaftete Strom von zehntausenden Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen aus dem Mittelmehrraum jetzt das Wohnungsthema Nr. eins ? Mir erscheint die Kombination von Flüchtlingspolitik und wohnungspolitischen Diskursen kommunikationspolitisch als äußerst problematisch. Denn tatsächlich sind Mangel und Mängel im Wohnsegment für einkommenslose oder einkommensschwache Haushalte in Deutschland seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten, wenn man Friedrich Engels "Zur Wohnungsfrage" von 1872/73 wieder liest, eine unausrottbare Epidemie in der Wohnungswirtschaft, mal heftiger, mal weniger heftig. Eine Kombination der Debatte über sie mit der aktuellen Flüchtlingskrise verschließt sich gegenüber den wahren Ursachen dieses Mangels. Forderungen und Projekte gegen die Krise preiswerten Wohnraums, untermauert durch den großen Bedarf der Flüchtlinge, können nichts dagegen tun, fremdenfeindlich umkonstruiert zu werden, wo Programme oder einzelne Maßnahmen für Flüchtlingswohnungen als Sonderrecht, und zwar als privilegierendes Sonderrecht für Flüchtlinge, erscheinen, das bedürftige Deutsche diskriminiert, was selbstverständlich Unsinn ist. Ob ungewollt oder in finsterer Absicht: Der Kombinationsdiskurs gefährdet die aktuell große Zustimmung zu einer liberalen Flüchtlingspolitik bei den Deutschen. Gelänge der Angriff, so hätte der Hinweis auf eine wohnungspolitische Krise als Kommunikationskonzept zwar funktioniert, aber als sozialpolitisches Konzept für eine Krisenbewältigung auf den Wohnungsmärkten hätte es versagt. Die Prekarisierung, Diskriminierung oder Exklusion von einkommensschwachen oder wohnungslosen Migranten auf den deutschen Wohnungsmärkten hätten sich eher verschärft. Wohnungspolitisch wäre nichts gewonnen.

Anmerkungen

1) In einer Debatte über den Wohnungsmarktbericht der Metropole Ruhr (2015) am 16. November 2015 wurde das betont. Die Begriffe für die Änderung waren höchst unterschiedlich. Es gäbe seit einem halben Jahr große Veränderungen durch die Flüchtlingsströme und die Region sei nicht mehr in einer Phase der Schrumpfung oder es gäbe einen Mentalitätswechsel: Die Siedlungen der 60er und 70er Jahre würden wieder zu begehrten Wohnlagen. Aber was bedeutet das für den Ruhrgebietswohnungsmarkt anderes als die Bestätigung der unveränderten Einschätzung: "Der demographische Wandel prägt auch den Wohnungsmarkt Ruhr" (siehe p. 7) und es gibt keine Ruhrgebiets-Wohnungspolitik jenseits dieses Wandels.
2) Pütter, Bastian (2015): Wohnraum für alle, in: bodo, das Straßenmagazin, Nov. 2015, p. 7
3) Nimz, Ulrike (2015): Apokalypse, Einsiedel in Sachsen, in: Süddeutsche Zeitung 277 vom 1.12.2015, p. 3
4) Bericht des Ministers im Ausschuss des Landtags NRW für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr am 19.11.2015
5) Hegel, Thomas (2015): Was Wohnen kostet, in: Polis - Magazin für Urban Dvelopment 4-2014, Wuppertal, p. 40-41
6) Fahrenhold, Peter; Remien, Andreas (2015): So einen Quatsch muss man beseitigen, in: Süddeutsche Zeitung, Immobilien vom 30.10.2015 HF2
7) www.bagw.de/de/presse/index~116.html Die BAG betont die Pflicht der Kommunen, aus humanitären Gründen und mit dem Ordnungsrecht in der Hand, mehr für Obdachlose zu tun.
8) Gerhard Matzig (2015): Im Häuserkampf. Flüchtlinge gegen Obdachlose? Warum wir einen radikal neuen sozialen Wohnungsbau brauchen, in: Süddeutsche Zeitung 230, vom 7. Okt. 2015.
9) Busse, Caspar; Dohmen, Caspar; Freiberger, Harald und Müller, Benedikt (2015): Die Mieter schauen ohnmächtig zu. Auf dem deutschen Immobilienmarkt ist ein rasantes Milliarden-Monopoly im Gange, Süddeutsche Zeitung Nr. 251, 31.10 /1.11.2015, p. 32
10) Reisener, Thomas (2015): Häuserkampf in NRW, in: Rheinische Post vom 16.10.2015
11) Nach einer Presseerklärung des Aktionsbündnisses Vonovia zur Hauptversammlung der Vonovia am 30.11.2015; die BBSR diagnostiziert gerade eine "zweite Hochphase des Transaktionsgeschehens" in BBSR Analysen Kompakt 16/2015
12) Schäfer, Manfred (2015): Sonderabschreibung für Wohnungen, in FAZ Nr. 276, p. 19