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Bei Datteln IV wird energiepolitisch Schwarz-Rot gegen Rot-Grün in Stellung gebracht
(17. Juni 2011)

Um richtig oder falsch, um ordnungsgemäße Planung oder illegale Schwarzbauerei und um Bedarf oder keinen Bedarf an zusätzlichen Kohlekraftwerken geht es am 20. Juni in der Verbandsversammlung der RVR nicht mehr. Eigentlich schade. Eine große Mehrheit aus CDU, FDP, SPD und GRÜNEN hat sich festgelegt, einer Planänderung des Regionalplans Emscher-Lippe zuzustimmen, die eine ältere, vom Bundesverwaltungsgericht kritisierte Änderung von 2006 zu Gunsten eines neuen Kohlekraftwerks in Datteln ersetzen soll. Nur die Linke wird dagegen stimmen, hört man.

Mit der Planänderung soll der Weiterbau des Kohlekraftwerks Datteln IV durch Eon rechtsstaatlich sauber und möglich werden. 2009 hatten Gerichtsurteile den Bau gestoppt. Er verstoße gegen eine landesplanerisch vorgegebne Nutzung heimischer Steinkohle bei der Stromerzeugung und die Reduktionsziele für CO2, die der Landesentwicklungsplan vorsehe, er beachte den Naturschutz für ein europäisches FFH-Gebiet unzureichend und missachte ein Abstandsgebot zur nächstgelegenen Wohnbebauung, die Verschattung durch einen Kühlturm von 180 Meter Höhe, die noch einige hundert Meter höhere Wolkenfahne aus ihm nicht gerechnet. Usw.

Die Änderung des Regionalplans ist von der RVR-Verwaltung fertig bearbeitet. Es ist klar, was darin zeichnerisch festgehalten wird: der Standort Löringhof in Datteln und Nutzung durch ein Kraftwerk. Was darin erläutert werden wird, ist auch klar, jedoch interessanter. Das, was das Bundesverwaltungsgericht an der Regionalplanänderung 2006 kritisierte, ist entweder wegen Nonsensverdacht nicht Gegenstand der Planänderung oder nun in der neuen Fassung "geheilt", das heißt, richtig dargestellt und ordentlich untersucht worden. Das weiß man seit dem rechtswissenschaftlichen Gutachten des Juristen Dr. Martin Kment, das sich der 2010/2011 im RVR entwickelten Regionalplanung für den Kraftwerksstandort Datteln IV ausführlich widmete und sie lobte. Das Gutachten liegt seit Anfang Mai im RVR vor. Das erstaunlichste an diesem Gutachten ist beileibe nicht sein Umfang, obwohl er erstaunlich ist. Dass muss einer erst mal hinkriegen, in zwei Monaten ein Gutachten von 155 Seiten, brutto, zu einem fachplanerisch so facettenreichen und rechtswissenschaftlich so wenig sicheren, aber super konfliktträchtigen planerischen Thema in den Computer zu hacken!

Das erstaunlichste ist, dass der Gutachter zu dem Ergebnis kam, die Eintragung einer neuen Gewerbefläche in Datteln als Standort für Datteln IV in den Regionalplan Emscher-Lippe sei unbedenklich und die Verschiebung eines Grünzugs an den nordöstlichen Rand des Löringhof-Geländes in Datteln dafür sei völlig in Ordnung, der Weiterbau von Datteln IV sei möglich. Es sei sogar unnötig, die so genannten Zielabweichungsverfahren in Sachen heimischer Steinkohle und Verbrauchsminderungszielen durchzuführen, die bisher immer im Gespräch waren. Höchstens um für alle Fälle schier undenkbaren Klagen in der Nachfolge des so genannten Datteln Urteils des OVG 2009 vorzubauen, riet Dr. Kment, solle man sie vorsorglich beschließen. Ähnlich ist Kments Einschätzung zum Emissionsschutz. Tenor: Das kriegen wir hin! Das geht in Ordnung, weil die Planmacher eine nötige Abstandsunterschreitung von 1500 m auf 400 m zur Meistersiedlung besonders aufwändig und sorgfältig begründet haben. Mehr als diesen besonderen Aufwand fordere der Abstandserlass nicht. Die uneffektiven Kraftwerke Datteln I-III werden wegfallen. Die Altanlagen sollen, so die Regionalplanung, mit dem Anfahren von Datteln IV geschlossen werden.

Im Februar 2011 hatte es nach heftigem Verhandeln innerhalb der rot-grünen Koalition in der Verbandsversammlung einen Aufstellungsbeschluss für das Planänderungsverfahren gegeben, worauf die SPD im RVR unisono mit dem damaligen Bereichsleiter für Planung, Rommelspacher, vor allem drückte. Verziert war der Startschuss mit einer Denkpause, in der ein Gutachten zu Rechtmäßigkeit und Sinn von Zielabweichungsverfahren für Datteln IV zu machen sei. Auf einen Gutachter wollte man sich einigen und sich dann an die Ergebnisse dieses Gutachtens halten, um auf diese Weise die Koalition zu erhalten. Herr Kment wurde der Gutachter. Hätten die GRÜNEN diesen vermeintlichen Kompromiss nicht mitgetragen, wäre die rot-grüne Koalition damals am Ende und der Posten des Bereichsleiters Planung für die GRÜNEN futsch gewesen. Und eine rot-schwarze Mehrheit hätte den Einstieg in die Planänderung anstelle der rot-grünen beschlossen. Das war klar.

Das Blah, Blah von Klimaschutz hin oder her, in Sachen Steinkohleverstromung und Weiterbau von Datteln IV verstand die SPD keinen Spaß und forderte von den GRÜNEN Kleinbeigeben oder Kapitulation. Am 31. Mai wurde im Planungsausschuss des RVR das Gutachten von Kment beraten. Die GRÜNEN zeigten sich vom eindeutigen Ergebnis "überrascht". Sie nahmen es immerhin nicht zustimmend, sondern mit Enthaltung zur Kenntnis und posteten:

"Wir stehen jedoch zu dem einmal mit der SPD vereinbarten Verfahren genauso, wie wir es bei einem anderen Ergebnis des Gutachtens auch von unserem Koalitionspartner erwartet hätten. Nach wir vor lässt sich - bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen - selbst mit einem Koalitionsbruch auf RVR-Ebene kein "Aus" für Datteln herbeizwingen. Vor diesem Hintergrund haben wir und werden wir weiterhin tun, was wir können, um ein Durchwinken des Verfahrens im "alten" Stil nicht zuzulassen und für größtmögliche Transparenz und Beteiligung zu sorgen."

Das war der Vollzug der Vereinbarung der im RVR regierenden Koalition von SPD und GRÜNEN und eben: Kapitulation. Am 20. Juni stellen sich wieder dieselben koalitionstaktischen Fragen. Die RVR-GRÜNEN werden voraussichtlich wieder Kapitulation melden, und man macht sich etwas vor, wenn man glaubt, die GRÜNEN in der Landesregierung bekämen etwas Anderes hin. Für einen Aufstand aus dem Nichts, nämlich für Neuwahlen, die neue Mehrheiten bescheren könnte, fehlen ihnen vielleicht nicht nur die Argumente, sondern auch die Mehrheit, die die Neuwahlen herbeiführen wollten. Eine schwarz-rote Mehrheit, die keine Neuwahlen will, würde die GRÜNEN an die Wand spielen.

Ehrlich gesagt, heute für größtmögliche Transparenz und Beteiligung bei der Planung eines 5,6 Millionen Jahrestonnen CO2 schweren Kohlemeilers zu sorgen, das kann man aus der Opposition heraus ganz prima, und auf der Straße und in der öffentlichen Meinungsbildung mit deutlich größerer moralischer Integrität als aus Regierungsbündnissen heraus, die Kohlekraftwerke unbedenklich oder genehmigungsfähig finden müssen. Für die öffentliche Wahrnehmung der GRÜNEN als Gegner nicht von Atomkraft in der Energieerzeugung sondern auch als Partei, die ein Ende ein Zeitaltern der Fossilisierung der industriellen Produktion insgesamt zu Ende bringen will, wäre das mit aufrechterem Gang, vielleicht sogar mit politischen Erfolgen verbunden. Man weiß nie, ob das beides zusammenhängt.

Und das Gutachten von Dr. Kment, das so monolithisch daher kommt? Nach meiner Einschätzung ist es nur solang die unangreifbare Mantra, als welche es daher kommt, solang man sich von seinem Rechtspositivismus, also seinem kleingläubigen Ableitungsgedöns, und vor allem von den engen Begriffen dessen, was raumwirksame Ziele in der Raumordnung und Regionalplanung sein würden und welche nicht, beeindrucken lässt. Nur ein Beispiel: Nach Kment muss ein nordrhein-westfälischer Landesentwicklungsplan, der für Energieerzeugungsanlagen merkliche Beiträge zur Einsparung von Flächenverbrauch für vermeidbare Leitungstrassen, denkbare und sinnvolle Möglichkeiten der Energieeinsparung oder der Nutzung regenerativer oder wenigstens einheimischer Energieträger fordert, nicht bei jedem Einzelprojekt in Regionalplänen und Bauordnungsplänen umgesetzt werden, weil das kein raumwirksamen Ziele, sondern wegwägbare Grundsätze seien. Wenn das der Fall wäre, hätten sich frühere Landesregierungen ihre Landesentwicklungsplanung und die dazu gehörigen Plansätze zum Vorrang der Energieeinsparung und der Förderung regenerativer Energieerzeugung sparen können. Kann ja sein, ist aber nicht wirklich glaubwürdig. Wer dem Überangebot an fossiler Energieerzeugung das Wort reden will, kann es glauben, muss sich aber auch einem strukturkonservativen Lager zurechnen lassen, das sich gegen die Notwendigkeit einer völlig anderen Energiezukunft versperrt.

Und wir müssten uns in jedem Fall Gedanken über eine zukünftige, projekt- oder produktschärfere Landesplanung im Bereich der Energieerzeugung machen, die ausschließlich Anlagen regenerativer Energieerzeugung in Nordrhein-Westfalen fördert und zulässt. Damit wir uns in der Planung mit Zukunftsprojekten beschäftigen können, und uns nicht stets nur mit den Zumutungen von fossiler Vergangenheitsbewältigung befassen müssen.