PlanungsPolitik-Forschung

Stadt + Gesellschaft verstehen + Planungspolitik gestalten

Städtische Prekarisierung. Hartz IV und Wohnungs-Privat Equity

Von Sebastian Müller

Einführung in diesen Text

Rein wohnungswirtschaftlich gesehen, traten auf den deutschen Wohnungsmärkten in etwa seit dem Jahr 2003 vermehrt und massiv eine neue Spezies von Käufern und Verkäufern in Erscheinung, Manager von Privat-Equity-Fonds und internationale Finanzmarkt-Investoren. Mit Millionen- und Milliardenbeträgen aus angesammelten Privat-Equity-Fonds und aus großzügig fließenden Krediten der Investmentbanken kauften sie vorzugsweise ganze Wohnungsunternehmen mit zigtausenden von Wohnungen, am liebsten aus staatlichem, kommunalem oder anderem öffentlichen Besitz, aber auch unternehmensgebundene Mietwohnungen. Mittlerweile haben sich diese Investoren als Desinvestoren erwiesen, die ihre Bestände herunter wirtschaften. Der Kaufrausch klang im internationalen Finanzmarkt-Crash so schnell ab wie er zuvor angeschwollen war. Dafür nehmen die Insolvenzen zu. Wir haben deswegen an den Rändern der großstädtischen Wohnungsmärkte eine nicht wenig dramatische neue Wohnungsfrage.

Diese lässt sich jedoch nicht mit den Kaufentscheidungen und Managementpraktiken internationaler Finanzmarkt-Investoren allein erklären. Vielmehr sitzen diese auf einem Pfad sozialpolitischer Rückentwicklung in einer Vielzahl von Nationen des transatlantischen und geopolitischen Nordens auf, die die Armutsforschung mittlerweile mit dem Begriff der Prekarisierung zu fassen sucht. Dieser Text setzt damit ein, Prekarität und Prekarisierung in einem eher allgemeinen und theoretischen Format zu beschreiben, das nur ab und zu - der Anschaulichkeit wegen - mit Dortmunder Zuständen illustriert ist, und verknüpft das Prekarisierungstheorem mit einem raumsoziologischen: der drei- oder vierfachen Spaltungen der postmoderner Stadtgesellschaften, der Exklusion oder Gentrifizierung von Stadtquartieren, die mittlerweile fast zum etablierten Allgemeinwissen zählen können, ohne die kein Feuilleton mehr auskommt.

In einer ersten empirischen Engführung wendet sich der Text anschließend der aktuellen Situation auf den Wohnungsmärkten für Prekäre und Arme in Nordrhein-Westfalen zu, um dabei feststellen zu müssen, in welch großem Umfang ihre Wohnungsnachfrage und ihre räumliche Mobilität mittlerweile - staatsgewollt - von der Hartz IV-Gesetzgebung und von den restriktiven Praktiken und dem staatlichen Rückschnitt bei der Übernahme von Mieten und Wohnkosten geprägt sind, die die Prekarität der zeitgenössischen Arbeitsverhältnisse in eine Prekarität der Wohnverhältnisse hinein verlängert. Die abgebildete Wirklichkeit wird dabei Schritt für Schritt noch exemplarischer und bezieht sich immer mehr auf Dortmunder Zustände, wo die Gelegenheit bestand, neun Privat-Equity geprägte Quartiere näher zu untersuchen, ihre Bewohnerinnen und Bewohner zu interviewen, mit einer Hartz IV-Beraterin und dem Mieterverein zu sprechen. In Privat-Equity Quartieren wirkten freilich nicht nur die staatlichen Hartz IV- und Kosten-der-Unterkunft-Regularien Armut verschärfend. Dort wirkten zusätzlich die Profitstrategien der Privat-Equity Spekulation mit der Privatisierung von deutschen Massenwohnungen.

Wie der Text aus internen immobilienökonomischen Diskussionen zeigen kann, war diese Privatisierung für Privat Equity von Anfang an scharf darauf ausgerichtet, diese Massenwohnungen so schnell und so umfangreich wie möglich als abstraktes Geldkapital flüssig zu machen, um auf weitgehend unregulierten Finanzmärkten handelbares Spielgeld zu generieren und den Fondseinlegern hohe Renditen zu zahlen. Dazu sollte viererlei beitragen, hohe und höchste Kreditaufnahmen, Verbriefung und Verkauf von Hypotheken im angelsächsischen Finanzformat, der Einzelverkauf von Wohnungen und ein drastischer Rückschnitt bei Instandhaltung und Mieterservice. Und so kam es dann auch. Die Banker schrieben nur über die hohen Kredite. In den Siedlungen wurden aber mehr oder weniger rasch und ausgeprägt die gegenseitige Steigerung der Akkumulation durch Kapitalhandels-Mechanismen der Privat-Equity-Spekulation auf den globalen Finanzmärkten einerseits und der Akkumulation durch Desinvestitions-Mechanismen von Privat-Equity auf den lokalen Wohnungsmärkten andererseits konkret und anschaulich in ihren sozialen Folgen: Beschleunigtes Weiterhandeln, Mehrfachverkäufe von Mietwohnungsbeständen, Prekarisierung der Wohnsubstanz und der Nachbarschaften und schließlich verschärfte Armutserosion der Quartiere.

Arbeitete der Text bis hier hin auf, wie soziale Prekarisierung sich durch Hartz IV und Wohnungsprivatisierung vertieften, so macht er jetzt eine politische Wende. Er schlägt vor, die Kämpfe um die neuen Wohnungsfragen als sozialpolitische Kämpfe auf Augenhöhe der Kämpfe um Mindestlöhne, für Umverteilung der Lasten der sozialen Sicherungssysteme von den unteren und mittleren Einkommensschichten zu den oberen und für eine dringend bessere Statussicherung in der Hartz IV-Sozialgesetzgebung zu begreifen. Der Text fragt aber speziell, was denn nötig und möglich wäre zu tun, um wenigsten in den Mietwohnungsbeständen des Privat Equity gegen die immer fürchterlicheren Wohnverhältnisse anzukommen. Der Text schlägt opportunistisch vor auszuprobieren, wie weit Mieter und Mieterinnen und städtische Ämter mit den bestehenden Rechtsinstrumenten des Mietrechts und des Bauordnungs- und Planungsrechts kommen, um die Prekarisierung der Wohnsubstanz durch Privat Equity Eigentümer abzustellen. Er warnt aber immerhin davor, sich auf diesen Grundlagen nicht in individuellen Klagen und isolierten Ämterauseinandersetzungen zu verkämpfen. Weil die Prekarisierungsform des Privat Equity mit den anderen verschränkt ist, argumentiert der Text für ein Verschränken der individualistischen und isolierten Zugriffe in einem Handlungskonzept von lokalen Allianzen für faire Wohnverhältnisse und in der Verschränkung von neuen Ideen für Arbeitspolitik, Sozialpolitik und Wohnungspolitik. Diese letzte Verschränkung bewegte sich und bewegt sich noch auf vielerlei Plattformen, von den Plattformen der quartiersbezogenen, der aktivierenden und motivierenden sozialen Arbeit für solidarische Quartiere bis hin zu den Modellen solidarischer Arbeit, kommunitärer gegenseitiger Versicherung und Unterstützung und der Gemeinschafts-, Gemeinden- und Genossenschaftsbewegungen. Auch hier opportunistisch, zeigt der Text und meint er: Vieles ist möglich, wenn solidarische Menschen das wirklich wollen und die Kraft dafür finden.

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