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Publikationen

Kunstwelten. Künstliche Erlebniswelten und Planung

Einführung zum Band 85 der Dortmunder Beiträge zur Raumplanung

Von Gerd Hennings und Sebastian Müller (Hrsg.)

Der vorgelegte Band 'Kunstwelten' enthält Aufsätze, die im Zusammenhang mit einer Vorlesungsveranstaltung entstanden sind, die von den Herausgebern dieses Buches seit 1994 jeweils im Wintersemester an der Fakultät Raumplanung angeboten wird und die eine große Resonanz gefunden hat. Im Rahmen der Vorlesung werden neben den Vorträgen der Veranstalter auch zahlreiche Gastvorträge zu den jeweils unterschiedlichen 'Kunstwelten' gehalten, so daß sich ein relativ breites Spektrum ergibt. Dieses verändert sich von Jahr zu Jahr, je nachdem, welche Trends sich gerade neu in der Realität abzeichnen.

Da eine vertiefte Behandlung der verschiedenen 'Kunstwelten' relativ selten ist und noch seltener schriftlich dokumentiert wird, haben die Herausgeber es gewagt, die Vortragenden zu bitten, auf der Basis ihrer Präsentationen Beiträge für diesen Band zu schreiben - und die meisten haben zugesagt und sich dieser Mühe unterzogen. Eine Mühe war es deshalb, weil die Vortragsmanuskripte in der Regel eher den Ausgangspunkt der dann endgültig abgegebenen Beiträge darstellten. Es waren viele weitere Recherchen nötig, um das, was zum Ausdruck gebracht werden sollte, in die Form zu bringen, die in diesem Band dokumentiert wird.

Als sich die Herausgeber im Herbst 1994 zum erstenmal zu einer Besprechung über eine Kooperation beim Thema 'Kunstwelten' oder 'Künstliche Erlebniswelten' trafen, führte sie ein gemeinsames Erkenntnisinteresse zusammen. Vor allem der Raum Ruhrgebiet, in dem beide Herausgeber leben und arbeiten, schien sich zu einem Experimentierfeld für eine neue Unterhaltungsinfrastruktur zu entwickeln. Damals wurden die Konturen der 'Neue Mitte Oberhausen' konkret, gab es schon drei Multiplex-Kinos im Ruhrgebiet, hatte sich die Stella GmbH dazu entschlossen, zwei weitere Musicaltheater im Ruhrgebiet zu eröffnen. In Dortmund ließ ein privat initiiertes Projekt zur Wiedernutzung des Geländes der ehemaligen Thier-Brauerei durch ein - wie man heute sagen würde - 'Urban Entertainment Center' unter dem Namen 'Neues Stadttor Dortmund' die politischen und auch sonstigen Wogen hochgehen. Im Projekt 'Dortmunder U', einem Wettbewerb zur Wiedernutzung der innerstädtischen Brache der Dortmunder Union Brauerei, spielten Freizeit- und Unterhaltungsaktivitäten, später eine Mall, ebenfalls eine wichtige Rolle, und in Essen gab es Diskussionen um die Wiedernutzung der innerstädtischen AEG-Kanis-Fläche, und nicht von ungefähr gab es hier das Essener Cinemaxx, und die Pläne der Stella GmbH konkretisierten sich dahingehend, die ehemalige Kruppsche Werkstatt (direkt neben dem Cinemaxx) wiederzunutzen für das Musical-Projekt 'Joseph'.

Nur vage war es den Herausgebern dieses Buches zu diesem Zeitpunkt klar, daß sich hier ein neuer Trend abzeichnete, dem man sich aus unterschiedlichen Ausgangspositionen nähern wollte. Einerseits schien das Thema interessant aus Sicht der Stadtentwicklungspolitik, der städtischen Raumplanung, der kommunalen Wirtschaftsförderung, aber auch von der Immobilienseite und Projektentwicklung her, andererseits ergaben sich interessante Fragen aus der Sicht der Freizeitsoziologie, der Freizeitökonomie, der Architektur- und der Kulturgeschichte. Folgende Fragen standen zunächst im Mittelpunkt der gemeinsamen Bemühungen um das, was spontan 'Kunstwelten' genannt wurde:

- Was steckt eigentlich hinter der Vielzahl dieser neuen Projekte?

- Wie ernst soll man den Begriff der Erlebnisorientierung nehmen, der im Marketing für die
einzelnen Projekte und deren Konzeptionen so eine große Rolle zu spielen scheint?

- Was macht eigentlich die Faszination der künstlichen Erlebniswelten für die Benutzer aus?

- Was bewirkt, daß viele dieser Einrichtungen von so vielen Besuchern aufgesucht werden?

- Haben diese Projekte der neuen Freizeitinfrastruktur eine gute Zukunft?

- Wie groß ist das ökonomische Risiko dieser künstlichen Freizeitwelten?

- Welche finanziellen Mittel werden benötigt für die neuen Einrichtungen?

- Wo kommt dieses Geld her?

- Wer initiiert eigentlich derartige Projekte? Wie werden sie betrieben?

- Wie stellen sich die Kommunen zu dieser neuen Entwicklung? Wie können die Politiker und
die Verwaltungsleute die Ernsthaftigkeit einer möglichen neuen Projektidee erkennen?

- Mit welchen Methoden arbeiten die Betreiber einer derartigen Investition?

- Welches sind die sozialen Auswirkungen der neuen Erlebniskultur?

- Welches sind die räumlichen Auswirkungen dieser neuen infrastrukturellen Großeinrichtungen?

- Droht eine weitere Verarmung der Innenstädte, oder sind gerade die urbanen Erlebniszentren
eine Möglichkeit, die Innenstädte wieder attraktiver zu machen?

- Sind diese Einrichtungen überhaupt etwas vollständig Neues, gibt es historische Vorläufer, wird
an bestimmten Infrastrukturen und Unterhaltungsarten der Vergangenheit angeknüpft?

- Wie wird eigentlich die innere Struktur dieser Einrichtungen gestaltet? Von welchen Parametern
und Bildern geht man aus? Wie geht man mit der Natur um? Wie werden Architektur
und Innenarchitektur verwendet, um den Erlebnischarakter der Einrichtung zu betonen?

Viele dieser Fragen haben die Struktur dieses Bandes beeinflußt. Die Herausgeber haben allerdings den Verfassern der Beiträge keine systematisierenden Fragen vorgegeben, auf die eine Antwort gewünscht wurde. Es wurde den Verfassern überlassen zu entscheiden, aus welcher Perspektive sie sich mit ihrem Gegenstand - einer der verschiedenen künstlichen Erlebniswelten - auseinandersetzen wollten.

Und so finden sich in diesem Band sehr verschiedenartige Beiträge zusammen, die aus unterschiedlichen Sichtweisen geschrieben worden sind. Es gibt Beiträge, welche die ganze Richtung der Entwicklung von künstlichen Erlebniswelten sehr kritisch sehen und sie für überflüssig halten, insbesondere ihre räumlichen Auswirkungen verurteilen. Es gibt demgegenüber Beiträge, die aufzeigen, daß die Kunstwelten, wie sie heute auftreten, Fortsetzungen vergangener Einrichtungen darstellen, bei denen vor allem die Innenarchitektur und die InneneinrichtungenThemen der Vergangenheit wiederaufnehmen, die durch die Nazizeit und durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges in Deutschland verschüttet und vergessen wurden und erst heute wiederentdeckt werden.

Es gibt Beiträge, die sich vor allem aus Sicht der Stadtentwicklungspolitik und Gewerbeplanung mit möglichen positiven und negativen Auswirkungen spezifischer Einrichtungen aus dem Bereich der Kunstwelten beschäftigen und Anregungen für das planerische Handeln geben. Einem Beitrag ist es gelungen, tiefer in die Ökonomie einer derartigen künstlichen Erlebniswelt einzudringen, und ein Beitrag zeigt die sehr interessanten Bemühungen eines Immobilienentwicklers auf, der von einer Immobilie, die vermietet werden muß, ausgeht, der dazu Geschäftsideen rund um die Freizeit entwickelt, der die entsprechenden Unternehmen als Existenzgründungen ins Leben ruft und so ein eher lokales Modell eines Freizeitzentrums entwickelt, das in deutlichem Gegensatz zu den auf internationalen Konzepten beruhenden Kunstwelten ist.

Andere Beiträge konzentrieren sich auf die Darstellung eines spezifischen Projektes oder auf die Diskussion unterschiedlicher konkurrierender Ansätze von Vorhaben im Bereich der großformatigen Freizeitinfrastruktur. Den meisten Beiträgen ist gemeinsam, daß sie eine systematische Behandlung der speziellen 'Kunstwelt' angestrebt haben. Die Autoren haben daher viel verstreutes Material zusammengetragen und so zusammengefügt, daß in diesem Band viele Informationen vorhanden sind, die in dieser Zusammenstellung neu sind.

Sicher werden nicht alle der zu Beginn der Kooperation von den Herausgebern aufgeworfenen Fragen in diesem Band erschöpfend behandelt und beantwortet. Die Entwicklung der Realität zeigt allerdings, daß das Thema 'Kunstwelten' ein Thema ist, das die Planung weiter beschäftigen wird. Die Freizeitindustrie setzt auf ein "Superwachstum", wie der Spiegel vom 15. September 1997 schreibt. Trotz Massenarbeitslosigkeit und im Durchschnitt sinkenden Realeinkommen scheinen die Freizeitausgaben des Erlebniskonsumenten noch nicht fühlbar zu sinken. Heute sind multifunktionale Freizeitparks wie der 'Ocean Park' in Bremerhaven im Gespräch, mit Shows, Erlebnisgastronomie und einem gigantischen Aquarium. In Bremen wird ein 'Space Park' gebaut, ein Freizeitcenter mit Attraktionen aus der Luft- und Raumfahrt. Die 'Warner Brothers Movie World' in Bottrop boomt, genauso wie das 'CentrO' in Oberhausen. Südlich von Bottrop soll das 'Alpin Center Ruhr' entstehen, ein künstliches Skiparadies auf einer ehemaligen Abraumhalde. Die Stadt Dortmund diskutiert unter dem Titel 'Unbegrenztes Freizeitobjekt' (UFO) Pläne für eine geradezu monströse Bahnhofsüberbauung, die ein 'Multi-Themen-Center' aus Mall, Aquarium, Sternwarte, Restaurants und Diskothek aufnehmen soll. Alles dieses sind neue Themen im Bereich der künstlichen Erlebniswelten, von denen im Rahmen dieses Bandes noch nicht einmal die Rede ist.

Der vorliegende Band macht deutlich, daß alle diese Freizeitzentren erfordern, daß man sich zu jedem gesondert eine Meinung bildet. Jede dieser Einrichtungen hat ihre Spezifika, die im einzelnen untersucht werden müssen, um zu einer fairen Beurteilung durch Planung und Wirtschaftsförderung gelangen zu können. Jede dieser Einrichtungen ist ökonomisch sehr riskant. Ihr wirtschaftlicher Erfolg steht und fällt mit dem Betreiber bzw. den Betreibern. Große Gewinne sind möglich, aber auch große Verluste. Das Thema 'Kunstwelten' dürfte damit weiter interessant bleiben.

Inhaltsverzeichnis

Gerd Hennings, Sebastian Müller
Zu diesem Band

Sebastian Müller, Gerd Hennings
Künstliche Erlebniswelten - Die Kräfte hinter dem Trend

Ulrich Hatzfeld
Malls und Mega-Malls
Globale Investitionsstrategien und lokale Verträglichkeit

Hubertus Voss-Uhlenbrock
Das Bundesligastadion: Von der Kampfbahn zur Erlebniswelt
Kommunale Strategien der Erneuerung von Stadien und ihrer Standorte

Martin U. Neumann
Arenen
Projekte, Standortwahl, wirtschaftliche und planerische Aspekte kommerzieller Großveranstaltungshallen

Maren Lambrecht
Der Bahnhof als Großprojekt
Nutzen die Städte die Chancen der neuen Entwicklungsdynamik?

Gerd Hennings
Multiplex-Kinos

Marcus Behnke, Christof Maisenhälder
Kommerzielle Musical-Theater in Deutschland

Jürgen Odenthal
Die AEG-Kanis-Halle in Essen
Musical in einem Industriedenkmal

Siegbert Panteleit
Medien- und Freizeitzentrum 'Stifts-Forum' in Dortmund-Hörde
Ein Beitrag zur Reaktivierung von Zentren

Sebastian Müller
Parks von Center Parcs
Designer-Landschaft für die schönsten Tage im Jahr

Ralf Ebert
Vergnügungsparks: "Das ist ja besser als eine Weltreise!"
Entwicklungsgeschichte und Zukunft großflächiger Vergnügungsparks

Gerda Breuer
Déjà vu - 'Künstliche Paradiese' und postmoderne Themen-Architektur

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