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Konfigurationen des Raumes - Kunstwelten

Von Gerd Hennings und Sebastian Müller

Wir werden uns in unserem Vortrag mit Massenvergnügen befassen und den Raumamöben, die sie heutzutage hervorbringen. Die Sache, die hier interessieren soll, hat jedoch eine erkenntnistheoretische Auffälligkeit. Sobald die Ebene phänomenologischer Beschreibungen verlassen wird, und man den Versuch macht, die Sache auf einen bezeichnenden Begriff zu bringen, nehmen die Zweideutigkeiten und Unklarheiten zu. Eindeutige und klare Begrifflichkeiten, die Phänomene der modernen Massenvergnügen typisch im Raum abbilden, gelingen uns und anderen offensichtlich nicht richtig. Wir haben deswegen den Eindruck, daß dies Manko nicht in erster Linie unserer eigenen Begriffsstutzigkeit geschuldet ist, sondern der Massenkultur und ihren Raumamöben selbst. Darauf werden wir zurückkommen.

1. Kunstwelten

Die Bezeichnung "Kunstwelten" als Unterscheidungswort für eine Klasse von zeitgenössischen Freizeitimmobilien, Shopping-Malls, Sportarenen, Themenparks und anderen "künstlichen Erlebniswelten oder -räumen", wie wir meistens sagen, trifft leider unseren Gegenstand genauso wenig exakt wie irgend ein anderer Begriff. Die Bezeichnung ist aber auch nicht ganz falsch, denn typisch ist schon, daß die kommerzielle Massenkulturproduktion auf den Gesichtspunkt einer künstlichen Inszenierung ihrer Produkte im Verhältnis zu den Umgebungsqualitäten großen Wert legt. Eine aufmerksame Besucherin von Warner Bros. Movie World beschrieb ihren Eindruck beispielsweise so:

"Der Kontrast zwischen dem Innenraum des Erlebnisparks und dem Außenraum muß besonders groß sein, um das Gefühl zu verstärken, durch den Eintritt in den Park in eine Gegenwelt zum Alltag einzutreten. ... Die Warner Bros. Movie World wirkt von außen wie ein schlecht in die Landschaft eingepaßtes Industriegebiet: Der erste Eindruck wird durch einen riesigen, baumfreien Großparkplatz und durch die Sicht auf nüchterne, mit Blech verkleidete Hallen dominiert, die ohne ein städtebauliches Konzept angeordnet zu sein scheinen. Einerseits wird dadurch der Eindruck vermittelt, daß es sich nicht nur um einen Freizeitpark, sondern vielmehr um eine 'echte' Produktionsstätte für Filme handelt ... Andererseits stellt diese nüchterne, charakterlose Umgebung der Großparkplätze den größtmöglichen Gegensatz zu den atmosphärisch aufgeladenen, verdichteten Eindrücken im Inneren der 'Movie World' dar und ist durchaus gewollt. ... Die zahlreichen, nebeneinander geschalteten Kassen erinnern nicht nur optisch an die Grenz- und Zollstation in ein anderes Land. .... Der zentrale Vorplatz, auf den man nach Eintritt in die 'Movie World' gelangt, wirkt wie der Vorspann eines Kinofilms: Es ist ein großer, relativ nüchtern gestalteter Platz. Symbolische, überdimensionale Filmrollen als Teil einer Brunnenanlage weisen darauf hin, daß man sich in einer Filmwelt befindet. Das wichtigste Element des Platzes sind die echten Palmen, die signalisieren: Hier beginnt eine andere" - nämlich künstliche - "Welt". (Mau, 1997, S. 76)

Ja, ja; diese Dattelpalmen sind wirklich die Topfpflanzen der postmodernen Architektur, aber signifikant für unsere "Kunstwelten" sind sie eben nicht. Und "Kunstwelten" sind nun einmal alle Gartenbaukunst und Architektur, gewissermaßen per Schöpfungsakt, indem sie bewußte Artefakte und Assemblagen sind. Ist man erst einmal so weit, dann kommen einem jede Menge historischer Erinnerungen, die das Besondere postmoderner Kunstwelten erheblich relativieren. Manches Licht hat uns Ralf Ebert aufgesteckt mit Hinweisen auf die uralte Geschichte der Kirmesse und Vergnügungsparks, die hinunter reicht bis in die römischen Arenen, die schon mal zur Aufführung einer künstlichen Seeschlacht geflutet wurden (Ebert, 1998, S. 193ff). Es überrascht dann kaum noch, auf die Abbildung eines Indoor-Skihangs in Berlin vom Jahr 1927 zu stoßen, der die Einmaligkeit des gerade in Planung befindlichen "Alpin-Center-Ruhr" - ebenfalls im wesentlichen "indoor" auf einer Bottropper Halde - vor der Geschichte kapitulieren läßt.

Gerda Breuer hat uns mit Erzählungen über die romantische Inszenierungen von künstlicher Landschaft in frühen Tiergärten, in botanischen Gärten, in Weltausstellungen und Pariser Einkaufspassagen des 19. Jahrhunderts überrascht; auch diese Raumbilder greifen wiederum auf frühere, feudale Parkinszenierungen, ja sogar auf Raumimaginationen in europäischer mittelalterlicher Malerei zurück (Breuer, 1998, S. 213ff). Kurz, mit der besonderen Künstlichkeit modernen "Kunstwelten" in der postmodernen Architektur für kommerzielle Freizeit und Vergnügen ist es aus historischer Sicht nicht so weit her.

Zu dieser historischen Relativierung der Definitionsleistungen unseres Begriffs der "Kunstwelten" kommt noch eine andere Kalamität hinzu. Auch die Unterscheidung zwischen künstlich und wirklich in dem Sinne, daß nach Alltagsverständnis Kunst ist, was eine Idee, nur einen Schein oder ein arrangiertes Gegenbild von Wirklichkeit produziert, trifft ja nicht mehr zu. Seit Marcel Duchamp 1914 ein Urinoir als "ready made" bezeichnete und als Kunstwerk ausstellte, die Kubisten um Braque, Picasso, Schwitters und andere - ebenfalls in den Zehner Jahren - "wirkliche" Zeitungen, Holzbruchstücke, Schrott und anderes in ihre Bilder verklebten und seit in den sechziger Jahren der Pop-art-Künstler Andy Warhol eine Serie von "Campbell Soup Doses" fotorealistisch abbildete und damit ins Museum kam, ist die Grenze von Kunst und Realität gefallen. Weder der spezifische Gegenstand noch die Produktionstechnik entscheiden über den Kunstcharakter einer Sache. Der Ort "Museum" oder der kulturelle Prozeß bestimmt, ob eine Sache Kunst ist oder nicht. So geht es auch mit unseren "Kunstwelten": Die Grenzen zwischen Fiktionalität und Realität sind durchaus nicht klar. Viele Besucher von Erlebnisparks, insbesondere Kinder, halten die Welt der "Kunstwelten" für wirklich und etwa die Inszenierungen ländlicher Idylle durch den Bauern Ewald ("Hier schläft der Bauer" - ein Einblick in ein Schlafzimmer für 1 DM.) für realistisch. Umgekehrt erscheint aus einer radikalen Sicht von Erlebnisparks aus jede Stadt als "Themenpark", wie das Mike Davis von Los Angeles behauptet hat, also als durchaus "nicht wirklich" (Davis, 1990).

Ein Praktiker der Freizeit- und Kulturwirtschaft, Peter Jöhnk, hat diese hybriden Verschränkungen so beschrieben: "Freizeitarchitektur ist lediglich der gebaute Erlebnisteil einer Show, die aus gastronomischem Angebot, Service, Mechandise-Verkauf und echten Showelementen besteht. Freizeitarchitektur ist nicht mehr das architektonische Gesamtkunstwerk, sondern nur Teil einer Inszenierung, wo der Raum Teil eines Konzepts ist, zu dem auch Geräusch, Musik, Duft, Geschmack, insbesondere auch Show gehören. Freizeitarchitektur ist die Kulisse für diese Show, aber auch nicht weniger. Wenn meine 'Kulisse' das Herz der Gäste erreicht, dann bin ich zufrieden. Wenn die Besucher große Augen bekommen und lächeln, wenn Erinnerungen geweckt werden an den letzten Besuch in Florenz, Wien, London - oder auch an Fernsehsendungen - Miami Vice, Denver Clan, Lindenstraße, James Bond, Raumschiff Enterprise, Micky Maus - oder was auch immer.

Es geht in der Freizeitarchitektur um die Schaffung von Illusionen, die gar nicht real sein müssen. Zirkus, Zauber und Show gibt es im tagtäglichen Leben vielleicht wirklich viel zu wenig, aber durch den Fernseher und das Kino werden uns täglich Illusionen geliefert, die mehr und mehr zum festen Bestandteil unseres Lebens werden, und nach und nach verschwindet die Grenze zwischen Realität und Illusion" (Jöhnk, 1997, S. 12f).

Unsere abschließende These zu diesem einleitenden ersten, begriffsklärenden Abschnitt lautet deswegen zunächst einmal so: Es steht schlecht um Begriffe und eine allgemeine Charakteristik der Raumbilder moderner Massenvergnügen, damit um ihre Identifikation, damit um die Identität ihrer Räume.

2. Identität

Könnten wir etwas mit dem Begriff der Identität der Räume anfangen? Sind es nicht gerade die kommerziellen "Kunstwelten" des Massenvergnügens, die ein Höchstmaß an Identifizierung der Kunden mit dem Angebot, also nach "genauso Mitmachen wie vorgesehen" verlangen, ohne daß das Vergnügen gar nicht eintritt? Wer die Regeln des Fußballspiels beispielsweise nicht erlernt hat, wer die medial schon vorreflektierten Logiken der Mannschaftsaufstellung und der Feldtaktik in der brutalen Hackerei im Kampf um den einen Ball nicht ausmachen kann und wer sich distanziert nach dem Spaß bei La Ola oder anderer Brüllereien auf der Zuschauerseite fragt, wird einfach kein Vergnügen beim Zuschauerfußball in den Stadien der neunziger Jahre verspüren.

Zielt nicht deswegen, damit das nicht passieren kann, ein bis ins Detail der Aufenthaltsqualitäten reichendes Design von "Identität" und "Identifizierungsstrategien", das wir im eben vorgetragenen Zitat kennen gelernt haben, darauf, daß jeder und jede zu den in die Identität des Ortes Eingeweihten zählen kann? Sollten wir nicht die Stätten des modernen Massenvergnügens zutreffender und geradezu als beispielhafte "Orte der Identität" statt als "Kunstwelten" bezeichnen?

Aber mit der Identität ist es auch keine ganz einfache Sache. Denn Identität ist heute eines der typischen "Plastikwörter", die in Zusammenhang mit allem und jedem stehen und dabei den Sachen und Zusammenhängen ihren spezifischen Sinn und ihre Entstehungsgeschichte entziehen, um in Medien- und Marketingsprachen, etwa in Fernsehtalkrunden und Werbeschriften zum bedeutungsschwangeren Austausch unter den Beteiligten über Banalitäten herzuhalten. Daß es zu den derzeitigen Managementphantasien gehört, daß jede ordentliche Firma ohne eine "Corporate Identity" nicht überleben kann, wird Ihnen bekannt sein, beschränkt sich aber häufig auf die Verwendung einheitlichen Geschäftspapiers wie schon 1898. Aber auch der Bezug auf Biographien und ihre Krisen bis hin zur Zugehörigkeit zu allen möglichen Gruppen und Institutionen oder zu lokalen bis kontinentalen territorialen Einheiten bemühen heute den Begriff der Identität und der Identitätskrisen. In der Geographie etwa tobt eine scharfe Auseinandersetzung, die man bei Gerhard Hard (Hard, 1987, S. 127 ff) und Benno Werlen (Werlen, 1997) nachlesen kann, um eine Geographie der sogenannten regionalen Identität. Dabei geht es im Grunde darum, ob es wissenschaftlich legitim ist, die Beschäftigung mit Werbekampagnen für San-Daniele-Schinken oder Ruhrpott-Nostalgie mit deren behaupteter Verwurzelung in einer angeblichen regionalen Identität zu adeln.

Die Begriffsgeschichte für das Wort Identität ist aber eine ziemlich eindeutig andere, wie man in jedem besseren Wörterbuch der Philosophie oder bei Odo Marquard oder in Lutz Niethammers Vorlesung über "Konjunkturen und Konkurrenzen kollektiver Identität" nachlesen kann (Niethammer, 1994, S. 378ff). Identität ist ein Fremdwort, das im 18. Jahrhundert aus dem Französischen übernommen wurde und das auf eine mittellateinische Wortschöpfung zurückgeht. In Deutschland ist es bis ins beginnende 20. Jahrhundert ein philosophischer Fachbegriff in der Logik. Unter numerischer oder logischer Identität begreift man die Beziehung, die jeder Gegenstand zu sich selbst und zu keinem anderen Gegenstand sonst hat. Nach dem zweiten Weltkrieg wird der Begriff in die Sozialwissenschaften übernommen, behält aber von seiner philosophischen Begriffsgeschichte nur so viel, daß soziale Akteure trotz aller Brüche in der Lebensgeschichte und der Zugehörigkeit zu den widersprüchlichsten Kollektivitäten in der Regel der Auffassung bleiben, sie blieben dieselben Menschen. Die damit einsetzende soziale Theorie der Identität - und nur ihre Anwendung auf den Raum macht, wenn überhaupt, Sinn - befaßt sich mit personaler Identität und mit kollektiver Identität.

Der Begriff der 'personalen Identität' füllt eine Leerstelle der Rollensoziologie, die Subjekte gesellschaftlich denken will, und zwar als eine Zusammensetzung vielfältiger Rollen, die Gesellschaften den Individuen zumuten. Dabei bleibt freilich offen, 1. von welchen Grundlagen her einzelne Rollen akzeptiert oder abgelehnt werden, warum sie 2. so unterschiedlich ausgefüllt werden, und 3. was die Integrationsleistung beim Zusammensetzen erbringt. Diese biographischen Mechanismen oder Bewußtseinsphänomene nannten Anselm Feuerbach und George Goffmann, später vor allem Erik Erikson "Identität". Dabei wurde immer zweierlei mitgedacht, nämlich 1. daß sich die Identität an der Auseinandersetzung mit Anderen, gesellschaftlichen Zumutungen und Institutionen bildet, aber 2. dabei auf Prägungen und Veranlagungen, Vorerfahrungen und Persönlichkeitsentwicklungen, die immer schon da sind, zurückgreift. Das heißt, daß Identität nicht schlicht mit Veranlagung gleichgesetzt wird, sondern als das Produkt eines Auseinandersetzungsprozesses aufgefaßt wird, in dem sich eine immer schwierige Balance zwischen gesellschaftlichen und lebensgeschichtlichen Zumutungen und lebensgeschichtlichen Vorprägungen herausbildet.

Wir stimmen mit Erikson und den späteren Sozialisationstheoretikern soweit überein, daß wir Identität für ein Bewußtseinsphänomen halten, sind aber (subjekttheoretisch) weitaus skeptischer und behaupten, daß es sich auch bei personaler Identität um eine Zuschreibung ex post handelt. Ist der Freund oder die Freundin, die wir zehn Jahre später oder in ungewöhnlichen Situationen wiedertreffen, wirklich noch derselbe oder hängt das nicht von unserer Identifikationsleistung ab? Ist der Ort, der Raum, den wir nach zehn Jahren wieder betreten noch derselbe, auch wenn die geographischen Koordinaten stimmen?

Noch stärker für ein Zuschreibungsergebnis halten wir die Behauptung einer "kollektiven Identität". Es mag auch da etwas im kollektiven Gedächtnis Vorgeprägtes, objektiv Unbewußtes geben. Aber wir konnten noch nie begreifen, was beispielsweise "Wir Deutsche" oder "Wir in Nordrhein-Westfalen" usw. gemeinsam haben, was andere nicht haben, wenn wir darüber bewußt sprechen, außer daß uns der Personalausweis, bestimmte Striche auf politischen Karten und das Aufstellen von Grenzhäuschen identifizieren. Uns wundert darum nicht, daß die Begriffsgeschichte der kollektiven Identität vor allem von den fundamentalistischen Extremen des politischen Spektrums bestimmt wurde, wie Lutz Niethammer zeigt. In seinem Aufsatz führt er wunderbar vor, wie sich Aussagen des prominentesten Staatstheoretikers für das Dritte Reich, Carl Schmitt, und Auffassungen des einflußreichen kommunistischen Theoretikers Georg Lucács in "Geschichte und Klassenbewußtsein" berühren. Wer den einheitsstiftenden Mythos der kollektiven Identität will, muß in der Tat die Erfahrung der Differenz einebnen und zum Schweigen bringen.

Das sollte uns bewußt sein, wenn wir von einer sozialen, politischen oder kulturellen, (auf jeden Fall kollektiven) Identität der Räume sprechen. Räume der Identität entwickeln kollektiv zugeschriebene Identität, wenn sie nicht - problematischer allerdings - Zwangscharakter entfalten, der selbstbestimmtes Verhalten unmöglich macht. Von kultiger bis ordnungsbehördlicher und polizeilicher Einengung ist alles möglich. Unser Frankfurter Kollege, Klaus Ronneberger, hat ja in dieser Vorlesungsreihe in aller Deutlichkeit vorgeführt, wie mit Festnahmen, Platzverweisen und Verbringen an den Stadtrand die Identität der Frankfurter Innenstadt zusätzlich zu den "Upgrading"-Maßnahmen entwickelt wird.

Zweites begriffsgeschichtliches Zwischenfazit also: Vorsicht im Umgang mit dem glitschigen Begriff der "Identität". "Kunstwelten" sind harmloser als die Vereinnahmungen, die mit Identität beabsichtigt sein können, und die um so gefährlicher werden, je mehr die Bestimmer von Identitäten über Instrumentarium zur Identitätserzwingung verfügen.

Kunstwelten und räumliche Identität. Konkretionen

Wenn man versucht - trotz aller Zweifel an dem Begriff der regionalen Identität - die Einflußgrößen zu benennen, die Einfluß nehmen könnten auf eine regionale Identität, dann wird man behaupten dürfen, daß regionale Identität mit Sicherheit beeinflußt wird

- von den Wirtschaftsstrukturen und den Wirtschaftsformen, in denen die Menschen einer Region
leben und arbeiten,

- von den sprachlichen Strukturen, die sich regionalspezifisch herausgebildet haben,

- von der Geschichte eines Raumes,

- von den kulturellen Eigenheiten der Menschen eines Raumes, wenn es sie dann gibt oder noch
gibt (Kultur der Bergarbeiter/Stahlarbeiter, Kultur der ehemaligen Hugenottendörfer etc.),

- von der natürlichen oder gebauten Landschaft, in der sich das tägliche Leben abspielt,

- von Eigenheiten der Konfessionen, die sich mit regionalen Besonderheiten entwickelt haben und
sich auch heute noch erhalten,

- und in wachsendem Maße auch von den Images selbst, die den Regionen zugeschrieben werden.

Es sind noch viele andere Einflußmerkmale denkbar - aber diese hier genannten mögen genügen. Wir wollen nämlich an dieser Stelle unserer Vortrages die Frage des Zusammenhanges von "Kunstwelten" und regionaler Identität insofern einengen, als wir argumentativ prüfen wollen, in welcher Wechselbeziehung konkrete künstliche Erlebniswelten stehen können zu derartigen regionalen Identitäten, aufgefaßt als spezifische Charakteristika und Eigenheiten eines Ortes oder einer Region, die andere Räume nicht haben.

Unsere Ausgangsthese ist zunächst folgende: Kunstwelten, künstliche Erlebniswelten sind etwas, von dem wir vermuten, daß es in krassem Gegensatz steht zu der Frage der Identität von Räumen, von Regionen, von Regionalbewußtsein. Es ist anzunehmen, daß Kunstwelten auch keine Räume der Identität schaffen, in dem Sinne, daß sie sich mit einem spezifischen Regionalbewußtsein verbinden und das vorhandene stützen und verstärken. Wenn sie derartiges behaupten, dann geben sie das nur vor und lösen es nicht wirklich ein. Sie benutzen zum Teil bestimmte Begrifflichkeiten und spezifische Eigenheiten von Räumen, um einen gewissen Aufmerksamkeitseffekt und möglicherweise auch einen regionalen Identifikationseffekt zu erzielen. Aber in Wirklichkeit geht es ihnen nicht um eine irgendwie geartete regionale Identität.

Was sie im Kern beabsichtigen, ist der Versuch, Innenräume ihrer eigenen Identität zu schaffen, Räume ihrer eigenen künstlichen Wirklichkeit. Ihre Faszination beruht unseres Erachtens gerade auf der Globalität, die sie in Deutschland ausstrahlen, das ja im Hinblick auf seine Freizeitinfrastukturen mit Sicherheit nicht besonders innovativ ist. Ihre Attraktivität beruht auf der Modernität, die sie verkörpern, ja gerade darauf, daß sie das Begrenzende, Provinzielle, das in einer regionalen Identität steckt, aufheben und überwinden, und den Konsumenten zum Teilnehmer machen an einem weltumspannend ähnlichen Prozeß des Vergnügens, der Zerstreuung, der Ablenkung von den täglichen Notwendigkeiten. Mag dieses Vergnügen auch künstlich geschaffen sein, das scheint heute keine Rolle mehr zu spielen.

Unsere Beispiele werden allerdings zeigen, daß die Dinge manchmal so einfach nicht sind, so daß die Sichtweise mit Sicherheit differenziert werden muß im Hinblick auf unterschiedliche Typen von Kunstwelten. Denn die Betonung des regionalen Bezugs, also des Versuchs, eine Verbindung zwischen einem bestimmten "Kunstwelten"-Projekt und regionalen Eigen- und Besonderheiten herzustellen, ist bei einzelnen Typen von Kunstwelten sehr unterschiedlich.

Nehmen wir als ein erstes Beispiel Musicaltheater. Moderne Musicaltheater sind kleine begrenzte künstliche Erlebniswelten, die als Infrastruktur gebaut werden für ein spezifisches Musical, das über lange Zeit an diesem Ort gespielt werden soll.

In vieler Hinsicht verkörpern diese Musicaltheater einen umfassenden Gegenentwurf von Theater im Verhältnis zu den bestehenden lokalen Theatern in der Bundesrepublik Deutschland. Während bekanntlich die öffentlichen Theater für ein dauernd wechselndes Programm von verschiedenen Stücken gebaut worden sind, wird in einem neuartigen Musicaltheater jeden Abend - manchmal sogar zweimal am Tage - dasselbe Stück aufgeführt. Auf diese Art und Weise reduziert das Musicaltheater seine Kosten erheblich und macht es so möglich, daß das Programm als private Investition getätigt werden kann, die in manchen Fällen sogar erhebliche Profite abwirft. Zwar gibt es hier auch Subventionierungen, aber die beziehen sich in der Regel auf die Anfangsinvestition, während im Gegensatz dazu die kommunalen Theater ohne riesige Dauersubventionen nicht auskommen. Das Produzieren von Überschüssen, das Profitmachen, ist das eigentliche Ziel dieser Musicaltheater. Und dabei bedient man sich der Lust der Menschen auf festliche Unterhaltung, auf Erlebnisse, im wesentlichen Gefühlserlebnisse, die die Zuschauer aus dem Alltäglichen herausführen und sie auch nicht mit allzu viel Gedankenarbeit belasten.

Dieses Konzept geht nur dadurch auf, daß Musicaltheater ihren Einzugsbereich sehr viel größer gestalten müssen als lokale Theater, die ja in der Regel nur die Einwohner einer Region als Zielgruppe haben. So ist der Einzugsbereich der Musicaltheater von vornherein auf den gesamten nationalen Markt abgestellt. Das bedeutet aber auch, daß ein überregionales Marketing und eine mobilitätsfördernde Infrastruktur aufgebaut werden müssen, um die notwendige große Zahl von Zuschauern aus allen Räumen der Bundesrepublik in das Theater zu führen. Und das bedeutet wohl auch, daß sich das neu gebaute Musicaltheater nicht zu sehr auf den Raum einlassen darf, in dem es liegt, obwohl gerade die Musicaltheater teilweise mit der Lage in einem spezifischen Raum flirten und sie marketingmäßig verwenden.

Daß die Musicaltheater sich in der Regel nicht sehr auf die Räume einlassen können, in denen sie liegen, liegt auch an der Thematik, die behandelt wird. Ein Musical wie "Cats" könnte man überall aufführen - es ist ein internationales Musical, das für ein internationales Publikum geschrieben worden ist, und für nationale Zwecke von seiner ursprünglichen erfolgreichen Aufführung in den USA oder England geklont worden ist. Ein deutschsprachiges "Cats" ist vor Hamburg mit mäßigem Erfolg in Wien aufgeführt worden, und wir wissen nicht, an wieviel Stellen der Welt "Cats" zur Zeit noch läuft. Die meisten der Musicalthemen lassen sich also nicht sehr weit oder nicht wirklich auf eine spezifische Zeit oder einen spezifischen Ort ein. Sie müssen das sogar vermeiden, wollen sie nicht riskieren, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen dieses Musical deshalb nicht besuchen, weil es sich zu sehr auf einen bestimmten Ort und auf bestimmte Menschen bezieht. Selbst wenn ein Musical im Vietnam-Krieg spielt oder zur Zeit der französischen Revolution, dann bleibt die Geschichte im Hinblick auf Zeit und Ort merkwürdig unkonkret. Bedient werden vor allem die Erwartungs- und Vorurteilsstrukturen der Zuschauer, und die Orte, in denen die Handlung spielt, sind nur fiktive Orte, obwohl sie reale Namen tragen.

Die Hamburger Musicals haben also nichts mit Hamburg zu tun, sie tragen nichts zu den bestehenden Hamburger Charakteristika bei und sie bedienen sich ihrer auch nicht. Man vergleiche nur die heutigen Musicals in Hamburg mit den Hans-Albers-Filmen der dreißiger und vierziger Jahre. In diesen Filmen ist Hamburg - Identität, wie sie der Hafenstadt zugeschrieben wird, aufgenommen worden und sicher dadurch auch verstärkt worden.

Allerdings könnten die Hamburger Musicals in gewisser Hinsicht identifikationsfördernd sein. Es ist ja bekannt, daß die sehr große Attraktivität der Musicals "Cats" und "Phantom der Oper" einerseits und das Marketing für die Stadt Hamburg andererseits auf interessante Weise miteinander verbunden worden sind, so daß heute im Städtetourismus einerseits für die Musicals geworben werden kann, wobei als zusätzliche Attraktion die Stadt Hamburg angeboten wird, und andererseits in jedem Hamburg-Marketing auf die Musicals als neue wichtige Attraktionsfaktoren hingewiesen wird. Hamburg hat dadurch einen Namen als Musical-Stadt gewonnen, ein Image, das nach außen wirkt, aber auch darauf abzielt, nach innen zu wirken. In der Geographie wird im Zusammenhang mit der Erforschung der regionalen Identiät von einem sog. Identifikationsmanagement gesprochen. Damit meint man das "Handeln eines routinierten Führungsgremiums von Honoratioren oder Institutionen oder Organisationen, das bewußt regionale Charakteristika unter Beachtung authentischer Strukturen einsetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen" (Kerscher, 1992, S. 18). Inwieweit das Ziel einer nach innen wirkende Unterstützung eines regionalen Identitätsgefühls aber im Fall der Hamburg-Musicals tatsächlich erreicht worden ist, mag dahingestellt sein. Aber eines kann mit Sicherheit festgestellt werden. Kaum eine Städtetour nach Hamburg läuft heutzutage ohne Musicalbesuch.

Ähnliches wie am Musical-Standort Hamburg wird zur Zeit für den Musical-Standort Ruhrgebiet versucht. Seitdem die Stella-AG drei Musicals im Ruhrgebiet spielt - in Bochum, in Essen und in Duisburg, macht sie systematisch Reklame mit dem Werbeslogan "Broadway an der Ruhr". In dieser Region hat sie sich auch weiter auf die regionalen Charakteristika eingelassen als in allen anderen Fällen ihrer Musical-Theater, indem sie in Essen eine große brachliegende Maschinenbau-Halle der Firma Krupp, die ehemalige KRUPP'Sche Werkstatt, als Mitinvestor erworben und umgewandelt hat in ein Musicaltheater, und indem sie auch in Duisburg innerstädtisch ein eigenes Theater gebaut hat, das bei der Architekturkritik ganz gut angekommen ist. Und wenn auch das Musical "Joseph" nun wirklich gar nichts mit der Region Ruhrgebiet zu tun hat, kann man bei den beiden anderen Ruhrgebiets-Musicals immerhin noch gewisse Verwandschaften in der Thematik mit vergangenen Zeiten des Ruhrgebiets konstruieren: die Lokomotiven des Starlight Express etwa könnten etwas zu tun haben mit der Tradition des Eisenbahnbaus im Ruhrgebiet und die Personen des Stückes "Les Miserables" könnten so oder ähnlich auch im Ruhrgebiet zu bestimmten Zeiten gelebt haben. Aber der Bezug zur Region wird in den Stücken selbst nicht hergestellt. Beide Musicals sind internationale Produktionen und sind im Ruhrgebiet nach den internationalen Vorbildern ausgerichtet worden. Und selbstverständlich ist es auch noch gar nicht klar, ob die neuen Musicals beim Publikum so gut ankommen wie man es generell erwartet.

Wir meinen allerdings dennoch, daß gerade diese Beispiele der Musicals oder ähnlicher Einrichtungen von neuen "Kunstwelten" in der Region Ruhrgebiet in starkem Maße zu einer neuen Identitätsfindung für das Ruhrgebiet beitragen können. Der Masterplan Tourismus für das Ruhrgebiet nimmt das auf (Masterplan, 1997). Er mixt geschickt die alten Bilder des Ruhrgebietes, die teilweise im Rahmen der Internationalen Bauausstellung-Emscher-Park mit neuen Nutzungen versehen werden, aber doch eher im traditionellen Identitätsbereich des Ruhrgebietes bleiben, mit den moderneren Bildern der Musicaltheater, des CentrO in Oberhausen, der Warner Bros. Movie World, und anderer "Kunstwelten", die gerade im Ruhrgebiet mehr als anderswo entstehen. Und so kristallisiert sich zur Zeit ein - wie wir meinen - nicht uninteressantes postfordistisches Image des Ruhrgebietes heraus, das in allererster Linie nach außen wirkt, aber auch mit Sicherheit identitätsstiftend auch nach innen strahlt.

Soweit einige Betrachtungen im Hinblick auf den Zusammenhang von "Kunstwelten" und regionalen Images mit möglicher Auswirkung auf regionale Identitätsgefühle der Bewohner. Im Hinblick auf den konkreten Objektstandort in der jeweiligen Kommune sind zwei Konzepte zu unterscheiden: Es gibt einerseits ein zentrales innerstädtisches Konzept wie im Fall des Collosseum in Essen, des Musical-Theaters in Duisburg, der Neuen Flora in Hamburg oder des ehemaligen Operettenhauses in St Pauli. Daneben gibt es aber auch ein dezentrales Konzept wie beim Starlight-Theater in Bochum oder bei den Musicaltheatern im SCI-Zentrum in Stuttgart. Unter dem Gesichtspunkt einer lokalen Identität bleiben diese Beispiele von dezentralen Theatern mehr oder weniger belanglose Beispiele einer Container-Architektur, die man mit dem Auto anfährt und die man verläßt, ohne von dem Ort der Aufführung besonders berührt zu sein.

Das kann unserer Erachtens bei innerstädtischen Musicaltheatern deutlich anders sein. Bei innerstädtischen Konzepten sind die Betreiber eher bereit, mehr in die Qualität der Gebäude zu investieren. Damit kann ein derartiges Theater viel leichter einen Beitrag zu einer Attraktivierung der Region leisten. Und mit attraktiven Attributen und Gebäuden einer Region ist auch eine Identifizierung eher möglich, so daß wir zu sagen wagen, daß attraktive innerstädtische Musicaltheater durchaus Teil einer regionalen Identität werden können, während das bei dezentralen Standardhüllen wohl eher nicht gelingen wird.

Ähnlich sieht es bei Multiplex-Kinos aus: Multiplexe sind bekanntlich die neuen Großkinos, die sich zur Zeit überall in der Bundesrepublik ausbreiten. Sie haben mindestens 1.500 Sitzplätze, sieben Kinosäle, eine besondere Ton- und Vorführtechnik, eine besondere Anordnung der Sitze, die eine sehr gute und bequeme Sicht auf eine sehr große Leinwand ermöglicht. Multiplexe verdrängen zur Zeit sehr viele der veralteten Schachtelkinos vom Markt. Sie sind dabei, eine besondere Attraktivität für die Kinobesucher zu entwickeln und tragen dazu bei, daß die Zahl der Kinozuschauer in der Bundesrepublik nach langen Jahren des Niedergangs wieder zunimmt.

Wirft man einen Blick auf die Inhalte der Filme, die in derartigen Multiplexen gezeigt werden, wird sehr schnell deutlich, daß überwiegend Mainstream-Filme gezeigt werden. Das Filmangebot ist zu neunzig und mehr Prozent Ergebnis der amerikanischen Filmindustrie, die das Filmgeschäft und auch die Filmgenres weltweit dominiert. Der Zuschauer, der in Deutschland diese Filme sieht, wird hier systematisch an den "American Way of Life" herangeführt. Die Filme haben mit der bundesdeutschen Realität kaum etwas zu tun, und sie nehmen auch nicht Bezug auf spezifische deutsche Regionen. Die Inhalte, die in Multiplexen vermittelt werden, sind tendenziell amerikanisch, wobei allerdings bekannt ist, daß die amerikanische Filmindustrie sehr genau darauf achtet, daß die Inhalte der Filme weltweit akzeptabel sind - sie dürfen also auch nicht zu amerikanisch sein. Das heißt, daß die Inhalte der Filme eher global orientiert sind, denn die amerikanischen Filme werden mit gigantischen Werbeeinsatz überall auf der Welt mehr oder weniger gleichzeitig eingesetzt. Und das wiederum bedeutet, daß die meisten Filme der Multiplexe nichts mit einer irgendwie gearteten regionalen Identität oder mit regionalen Charakteristika in Deutschland zu tun haben.

Inwieweit die Multiplex-Kinogebäude einen Beitrag leisten zu Eigenheiten einer Stadt oder einer Region, zu Charakteristika, mit denen sich die Bevölkerung identifiziert, ist unseres Erachtens sehr stark von der Qualität der Gebäude und von dem Standort abhängig, an dem das Kino steht. Multiplex-Kinos sind regionale Einrichtungen. Ihr Publikum kommt aus einer Entfernung von maximal 30 PKW-Minuten, so daß hier ein größerer Einwohnerkreis als potentieller Nachfrager angesprochen ist als bei normalen Kinos. Die Kinobesucher sind größtenteils im Alter von 16 bis 29 Jahren, und sie gehen häufiger ins Kino, also in der Regel nicht nur 1,5 mal im Jahr wie die Bundesdurchschnittsdeutschen. Das bedeutet, daß ein solches Multiplexkino in einem recht aufnahmefähigen und erlebnisfähigen Alter zu einem häufigen Begegnungsort werden kann, an dem man sich mit Freunden oder Freundinnen trifft, an dem man viele erfreuliche und interessante Erlebnisse haben kann, die viele Personen Zeit ihres Lebens in der Erinnerung begleiten, und an die sie später mit einer gewissen Wehmut zurückdenken. Ein Multiplex-Kino ist auch auf Dauer angelegt - die Kinobetreiber müssen Mietverträge über 20 Jahre abschließen - so lange wird das Multiplex-Kino, das heute an den Markt geht und sich gut am Markt hält, mehr oder weniger unverändert, von Zeit zu Zeit etwas modernisiert, an seinem jetzigen Standort bleiben und somit fester Teil der Vergnügungskultur einer Region werden. Zwanzig Jahr - das sind auch etwa die Investitionszyklen, die im Kinobau Deutschlands seit der Jahrhundertwende zu verzeichnen sind.

Inwieweit ein derartiges Kino eins wird mit seiner Region und irgendwann als charakterisches Merkmal der Region aufgefaßt wird, das von der Bevölkerung angenommen, akzeptiert oder sogar geliebt wird, hängt dann aber im wesentlichen von der Ausstrahlung des Gebäudes und des Inneren des Gebäudes ab.

Ähnlich wie im Musical-Bereich werden bei den Multiplexen zwei sehr unterschiedliche Konzepte des Kino-Gebäudes und der Kinostandorte in Deutschland realisiert. Multiplex-Kinos sind bekanntlich eine Erfindung amerikanischer Kinobetreiber. Sie werden in den USA regelmäßig in oder in unmittelbarer Nachbarschaft größerer Malls errichtet und betrieben, wobei die meisten irgendwo im suburbanen Nirgendwo und Einerlei liegen. Und die ersten Multiplex-Kinos, die bei uns gebaut worden sind, waren die Kinos der amerikanischen Töchter der großen Multimedia-Konzerne. UCI und Warner Brothers Cinemas haben damit begonnen, das dezentrale amerikanische Konzept auch in der Bundesrepublik zu realisieren, in Einkaufszentren oder in dezentralen Parks von großflächigen Einzelhandelseinrichtungen. Die Architektur ähnelt den Kistengebäuden der dezentralen Shopping Center in der Nachbarschaft, die innere Ausstattung ist eine schwankende Mischung aus amerikanischem Plastikgeschmack und deutschen Ansprüchen. Eine besondere Atmosphäre dürfte hier eher nicht entstehen.

Das Kino-Gebäude-Konzept der deutschen Betreiber, von denen die Flebbe-Gruppe die bisher erfolgreichste Multiplex-Gruppe ist, ist dagegen viel urbaner und eigentlich darauf ausgerichtet, das Kino der zwanziger Jahre, das Konzept der Kino-Paläste und der Traumfabriken, in neuerer Form wieder aufleben zu lassen. Zunächst ist dieses deutsche Filmtheater-Konzept city-orientiert. Diese Kinos versuchen häufig, sich effektvoll in Richtung City in Szene zu setzen, und sie schaffen das im wesentlichen über großzügige verglaste Eingangsfassaden unterschiedlicher Zuschnitte. Als besonders beeindruckend gilt die achtgeschossige Rotunde des Kölner Cinedom. Besonders bedeutsam sind bei den deutschen Betreibern die Foyer-Bereiche. Die Kritik spricht bei einigen Cinemaxx-Kinos von einem fröhlichen Stil-Durcheinander aus postmodernen Messingdetails - Art-Deco-Reminiszenzen, Last-Picture Show Nostalgie und Vergnügungsdampferchic - angerührt mit viel Pink, nächtlichem Sehnsuchtsblau und Sternenlicht. Hart an der Kitschgrenze, aber beschwingt gemacht (Bode, 1991, S. 20f). Kritiker dieser neuen innerstädtischen Kino-Paläste sprechen von kitschiger Metropolenarchitektur, Befürworter sehen in ihr eher eine Film- und Kinoarchitektur des ausgehenden 20ten Jahrhundert.

Diesen innerstädtischen Filmpalästen gestehen wir zu, daß sie das Potential haben, zu einem festen Bestandteil einer möglichen innerstädtischen Identität zu werden. Große Zweifel haben wir dagegen an der Attraktivität der dezentralisierten Containerarchitektur. Und wir denken auch, daß die Großkinos an dezentralen Standorten im langfristigen Standortwettbewerb eher in Bedrängnis kommen werden als die innerstädtischen Kinos.

Also ist der Befund im Hinblick auf die Multiplexe ähnlich wie bei den Musicaltheatern. Soweit sie sich architektonisch einfügen in die urbane Bebauung und in die urbane Struktur, desto mehr können sie einen Beitrag leisten zu einem regionalen modernen Lebensgefühl, in dem das Alte mit dem Neuen verschmilzt. Die Inhalte sind global, auch die Architektur ist in der Regel nicht regionalspezifisch, aber spezifisch für die Großstadtarchitektur des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Wir meinen, daß beide Arten von Kunstwelten das Potential haben, die Cities wieder attraktiver werden zu lassen, wenn sie denn in den Cities gebaut werden.

Schwieriger zu beurteilen sind unseres Erachtens die ganz neuen Komplettangebote, die sog. Urban Entertainment Center. Ein Urban Entertainment Center ist eine Freizeitgroßanlage, ein Freizeit- und Erlebniszentrum, das auf der Addition verschiedener erlebnisorientierter Freizeitnutzungen beruht. Durch das Angebot verschiedener Nutzungen soll die Attraktion der einzelnen Erlebnisangebote erhöht werden. Wesentliche Komponenten von Urban Entertainment Center sind im wesentlichen Multiplex-Kinos, Musicaltheater, Spielkasinos, Bowlingbahnen, Discotheken, kombiniert mit Angeboten der Gastronomie, wie Erlebnis- und Themenrestaurants, Food Courts und Angeboten des Handels und des Merchandising, sowie von Hotels.

Es gibt noch nicht viele Urban Entertainment Center in der Bundesrepublik Deutschland. Die "Neue Mitte Oberhausen" ist sicher ein Beispiel für ein sog. einzelhandelsorientiertes Urban Entertainment Centre, mit einer Mall als Hauptfrequenzbringer, deren Zentrum ein riesiger Food-Court bildet, mit einem Multiplexkino, mit einer Arena, mit einem kleinen Freizeitpark, mit einer künstlichen Uferpromenade, die ein vielfältiges gastronomisches Angebot aufweist. Ein Musicaltheater wird gebaut für das Musical Tabaluga, es bestehen Pläne für ein Goßaqarium, und auf der Fläche des kürzlich stillgelegten Stahlwerkes in der Nachbarschaft soll eine Art Science Museum entstehen (Der gläserne Mensch und eine sog. gläserne Flugzeugfabrik).

Ein weiteres Urban Entertainment Centre, das schon existiert, ist das Freizeit- und Erlebniszentrum Stuttgart International (SI) in Stuttgart-Möhringen. Es ist ein sog. abendunterhaltungsorientiertes UEC. Dieses kombiniert mehrere Freizeit- und Unterhaltungsmöglichkeiten miteinander. Die Hauptattraktionen sind zwei Musicaltheater, die neu gebaut worden sind, eines für "Miss Saigon" und das zweite für "Die Schöne und das Biest". Dieses Angebot wird ergänzt durch die Spielbank Stuttgart, die extra für dieses Unternehmen und für Herrn Dheyle ins Leben gerufen wurde, eine Sauna- und Badelandschaft, die "Schwabenquellen" heißt, zahlreiche Gastronomieangebote und ein Hotel. Zur Zeit ist ein Multiplex-Kino der Firma Flebbe im Bau, geplant sind weiter einige Spezialitäten - Shops, zahlreiche zusätzliche Gastronomieangebote, ein Konferenzzentrum und ein Boarding House.

Von der Dimension her erheblich kleiner, aber auch ein abendunterhaltungsorientiertes Urban Entertainment Center, soll das "FamilienEntertainmentCentre Herne" werden, das ab Herbst 1998 gebaut werden soll. Ein Multiplex-Kino mit 3.800 Plätzen der Firma Hoit ist der Kern dieses Zentrums, dazu sind geplant eine große Bowlingbahn, ein 80-Betten-Hotel, Restaurants, Bars und Kneipen und und und. Wie üblich steht die endgültige Nutzungsmischung noch nicht fest, aber es gibt schon ein erstes Bild davon, wie dieses Centre später einmal aussehen soll.

Ein anderer Typ Urban Entertainment Centre sind die sog. themenorientierten Urban Entertainment Centre. Davon sind im Raum Bremen/Bremerhafen gleich zwei in der Planung, der sog. Space Park/Bremen und der Ocean Park/Bremerhaven. Zwar ist der Ocean Park im Hinblick auf die endgültige Realisierung als unsicherer einzuschätzen als der Space Park, aber im Hinblick auf regionale Identität ist er interessanter als der Space Park. Im Ocean Park sollen errichtet werden: ein sog. Harbour Village, ein sog. Tropicum (Hotel im einer Wasserwelt), ein Multiplex-Kino, das hier den Namen Aqua-Max trägt, ein Hotel, ein Spielkasino, eine kleine Mall, der sog. "Blaue Planet", bestehend aus einem Großaquarium, einer künstlichen Regenwaldlandschaft sowie einem IMAX-Kino.

Viele weitere Projekte sind im Gespräch. Einige Beispiele seien hier genannt, ohne daß uns zur Zeit genau bekannt ist, wie der jetzige Entwicklungsstand ist: a) Berlin: Potsdamer Platz mit Cinemaxx, Imax-Dome, Sony Entertainment Center, Shopping Mall und Gastronomie; b) Berlin: Europapark Dreilinden mit Multiplexkino, Bowlingcenter, Gastronomie sowie ergänzenden Freizeiteinrichtungen; c) Berlin: Stern-Erlebniscenter Potsdam-Drewitz mit Cinemaxx, Bowling, Discothek, Airodium, Veranstaltungscenter, Shopping, Gastonomie etc. d) Dortmund: Ufo als Bahnhofsüberbauung mit Shopping Mall sowie diversen Freizeitnutzungen; e) Duisburg: Multi Casa mit Arena, Shopping-Mall und diversen Freizeitnutzungen; f) Leipzig: Krystallpalast mit den Themen Entertainment, Adventure, Trendshopping, Freizeit und Tourismus; g) Frankfurt/Main: Erlebniszentrum an der Messe mit Musical-Theater, Multiplex-Kino, Wellness-Einrichtungen, Büros und Wohnungen. Dieses sind nur einige der bisher bekannt gewordenen Projekte, andere sind im Gespräch. Nicht alles davon wird realisiert werden. Aber mit Sicherheitt werden die Ideen für Urban Entertainment Center zunehmen. Urban Entertainment Center könnten zu den wichtigsten Freizeit- und Unterhaltungszentren der Bundesrepublik der Zukunft werden.

Die Bilder von den Urban Entertainment Centern zeigen es schon. Die meisten dieser Unterhaltungszentren sind sehr groß, sie benötigen sehr viel Fläche. Sie finden daher nur ausnahmsweise in Innenstädten Platz, d.h. sie werden überwiegend dezentral, außerhalb der schon bestehenden Bebauung errichtet.

Und insofern trifft auf sie vieles zu, was wir im Hinblick auf dezentrale Musicalstandorte oder dezentrale Multiplexstandorte gesagt haben. Am deutlichsten scheint das beim SI-Zentrum Stuttgart zu sein. Der Standort liegt weit außerhalb des bebauten Innenbereichs von Stuttgart. Das einzige, was ihn zum Standort gemacht hat, ist ein Autobahnanschluß. Hier stand zudem ein unausgelastetes Hotel des Projektentwicklers Dheyle, und um das auszulasten, entstanden alle die anderen Dinge. Der Blick auf die Photos in den Prospekten zeigt, daß es sich insgesamt um eine anspruchslose Architektur handelt, die hier gebaut worden ist, nicht ganz Containerarchitektur, aber dennoch ein Sammelsurium von mehr oder weniger modernen Gebäuden. Dieser Standort strahlt eigentlich nur am Abend etwas aus durch die entsprechende Beleuchtung. Die Abendunterhaltung vollzieht sich in teilweise teuren Plastikwelten, was insbesondere in dem Saunenbereich deutlich wird.

Ein Spiegel-Artikel aus dem Jahre 1994, der zur Eröffnung des Musicals "Miss Saigon" erschienen ist, bringt das süffisant auf den Punkt: "Zur dramatischen Love-Story bietet Dheyle einen riesigen, kollektiven Freizeitpark: Zwei Hotels mit zusammen 455 Zimmern sowie ‚etwas völlig Neues und absolut Einmaliges in ganz Europa': die Schwaben Quellen, eine riesige Naßzelle mit künstlichem See und finnischen Saunahäusern.

Kulinarische Vollversorgung garantieren die ‚Collonaden', ein Gastronomie- und Shopping-Boulevard mit diversen ‚Erlebnis-Restaurants', Pubs, Kaffeehäuser und Freßständen. Kitsch as Kitsch can: den ‚Time Square', Sauf- und Sammelpunkt im Gewühl, ziert eine überdimensionale ‚Zauberflöten'-Uhr, die zu jeder vollen Viertelstunde Mozart-Verschandelungen dudelt. Ein Treppchen hier, ein falsches Fenster dort, alles erinnert an alles: Prost-Moderne-Pur...

Bevor sich die Massen an der Miss ergötzen, sollen sie sich in den Schwaben Quellen zum Tagespreis von 52,00 DM erst noch balneologisch verwöhnen lassen. Sieben Saunen laden zur Schwitzkur, eine ‚Blütengrotte' verströmt zarten, täglich wechselnden Duft ...Architektonisch erinnert das Saunensammelsurium an einen arabischen Basar, der von einem Kaufhauskünster astrein steril gestaltet wurde. Alles echt falsch und für jede Gefühlslage das rechte thermale Wasserspiel...

Fiebrig, beduftet und gesalbt - so taumelt der Gast entspannt und leicht benebelt ins Theater. Nach der ‚Miss'-Wahl bleibt dem Konsumenten dann noch die sicherste Art, sein Bares loszuwerden. Er geht in die Spielbank und läßt sich dort bei Roulette, Baccara und Einarmigen Banditen ausnehmen." (Der Spiegel, 1994, S.196).

Ähnlich, aber deutlich billiger, denken wir, wird das FamilienEntertainmentCenter in Herne. Hier zeigt ein Blick auf das Modellphoto, daß ein sehr amerikanisches Konzept verfolgt wird: es sieht aus wie ein amerikanischer Highway-Strip in einem Gebäude. Es ist unseres Erachtens kaum denkbar, daß beide Projekte für eine regionale Identität bedeutend werden. Mit Sicherheit können wir heute für die meisten der weiteren obengenannten Projekte ähnliches behaupten: Hier steht das Bemühen um ein Eingehen auf die regionale Identität sichtbar nicht an einer Stelle der Bemühungen. Projekte wie das Ufo in Dortmund und das Multi Casa in Duisburg lassen sich bewußt nicht auf ihre nähere Umgebung ein. Ihr Beitrag zur regionalen Identität ist sicher sehr zweifelhaft.

Etwas anders sehen wir die "Neue Mitte Oberhausen" - zwar findet man auch hier Elemente einer Plastikwelt, dennoch ist das Projekt für die regionale Identität ernster zu nehmen als die beiden oben genannten Unternehmungen.

Als Beleg sei aus einem Artikel in der Berliner Zeitung zitiert: "Aber das schlimmste an diesem Vulkanausbruch des privaten Städtebaus ist, daß er von der Konzeption bis zum Design eine Qualität hat, die man von den traditionellen Einkaufszentren im Westen oder den neuen ostdeutschen Karawansereien einfach nicht kennt. Die Architektur des ‚Centro' ist sachlich und ortstypisch auf Industriebautraditionen mit viel Stahl, Glas und Klinker bezogen. Die Restaurant-Promenade hat Art Deco-Anklänge zwischen Miami-Look und spanischen Freizeitdörfern. Im Innern der Riesenmall windet sich der Einkaufsparcour zu malerisch gekrümmten Camillo-Sitte-Straßen."

Und an anderer Stelle:

"Daß es die Betreiber mit ihrer Stadtgründung ernst meinen, beweist vollends eine neue Promenade entlang eines künstlichen Flusses. Bei mediterranem Wassergeplätscher sorgen 28 Restaurants und Kneipen in bunter Freizeitarchitektur für das Leben nach Geschäftsschluß. Diese Gastro-Meile ist nicht weniger städtisch als Alt-Sachsenhausen oder Alt-Düsseldorf, nur moderner, frischer, freundlicher."

Und noch ein anderes Zitat erscheint in unserem Zusammenhang interessant:

"Und um die Leute dauerhaft anzulocken, bieten vorausdenkende Mall-Betreiber heute mehr als nur Warenberge, nämlich das, was den Kern jeder wirklichen Stadt ausmacht: Öffentlichkeit, Bewegungssphäre und die Erotik des Sozialen. Auch wenn gesellschaftliches Leben nur simuliert wird, fällt es in zunehmendem Maße so täuschend echt aus, daß man hier eines Tages vielleicht von einem neuen Kapitel der Stadtgeschichte sprechen kann: von wirklichken Neugründungen, wie sie früher mit den barocken Ideal-, Hugenotten- oder antiken Kolonialstädten entstanden sind..." (Berliner Zeitung, 1998, Magazin, S. III).

Mögen diese Aussagen teilweise auch etwas überzeichnet erscheinen, machen sie doch folgendes deutlich. Obwohl ihre Inhalte international orientiert sind, voller Zitate von anderen Orten und vergangenen Zeiten, kann es doch Urban Entertainment Center geben, die sich in ihrer Architektur auch zu gewissen Teilen auf die ortspezifischen Traditionen einlassen. Und je mehr sie das tun, desto mehr können sie auch Teil des Bestehenden werden. Durch ihre pure Größe entwickeln sie dazu ein Eigengewicht. Sie stellen, wenn nicht alle Funktionen in einem Riesengebäude angeboten werden (und das ist ja in Oberhausen tatsächlich nicht gemacht worden), eine urbane Nutzungsmischung dar, die leicht ergänzt werden kann um Wirtschaftszonen der Produktion und auch um Wohngebiete. Hier könnte sogar einmal ein Ortsteil mit einer eigenen Identität entstehen, wenn noch entsprechende öffentliche Funktionen hinzugebracht würden. Das ist im Falle der "Neuen Mitte Oberhausen" um so wahrscheinlicher, als es bekanntlich eine "alte Mitte" in Oberhausen niemals gegeben hat. Ihr Ersatz, die Konzentration von Einkaufseinrichtungen in Alt-Oberhausen, leidet sehr stark unter der "Neuen Mitte" und hat den größten Teil ihrer Attraktivität verloren, so daß den Oberhausenern mittelfristig auch gar nichts anderes übrigen bleiben dürfte, als die "Neue Mitte" als potentiell neues Stadtzentrum zu begreifen.

Weiter ist zu beachten, daß der unbestrittene Erfolg des "Centro" und seiner komplementären Einrichtungen das Image der Stadt Oberhausen dramatisch verändert hat. Heute dürfte kaum ein touristischer Trip ins Ruhrgebiet ohne einen Besuch im "Centro" ablaufen. Die Arena als Großveranstaltungshalle zieht viele Besucher von außerhalb ins "Centro". Das "Warner Bros."-Multiplex gilt als das erfolgreichste Multiplex der Warner Gruppe in der Bundesrepublik. Das neue "Tabaluga-Musical-Theater" dürfte weitere Interessenten in die "Neue Mitte" führen. Und die Shopping Mall hat die Kaufkraftbindungsquoten in der ganzen Region verändert. Während früher die Stadt Oberhausen erhebliche Kaufkraftabflüsse aufwies, hat sie heute deutliche Kaufkraftzuflüsse von außen. Hinzu kommt, daß in unmittelbarer Nachbarschaft mit dem Gasometer Oberhausen und dem modernisierten Museum im Schloß Oberhausen weitere überregional wirkungsvolle Attraktionspunkte geschaffen worden sind. Es ist durchaus denkbar, daß das Projekt "Neue Mitte Oberhausen" die Oberhausener Bevölkerung bereits heute stolz auf ihre Stadt macht und somit schon als Teil der regionalen Identität einer Subregion des Ruhrgebietes angesehen werden muß.

Ähnliche Potentiale sehen wir im Projekt Ocean Park in Bremerhaven. Der "Ocean Park" hat natürlich unmittelbar etwas mit der Lokalität des ehemaligen Hafens dieser Stadt am Meer zu tun. Zudem sollen viele schon heute bestehende Einrichtungen in das neue Gebilde integriert werden, und von seiner Lage zwischen Innenstadt und ehemaligem Hafen her kann der Ocean Park eine wirklich interessante Stadterweiterung für Bremerhaven werden.

Aber diese Beispiele sind Ausnahmen, die zudem an bestimmte einmalige Voraussetzungen geknüpft sind. Bei den anderen weiteren Projekten von Urban Entertainment Centers ist der Befund einfacher: ihr Beitrag zu einer regionalen Identität ist nicht beabsichtigt und insgesamt auch sehr zweifelhaft. Sie realisieren eine Architektur, die sich teilweise zwar um Indiviualität und Originalität bemüht, aber keine Ortsbezüge herstellt. Ob das Objekt in Berlin oder München oder Frankfurt realisiert wird, bleibt letzten Ende egal. Auch zeigt die Aufzählung der Nutzungen die Austauschbarkeit der einzelnen Projekte. Viel Spezifisches fällt den meisten Machern in den einzelnen Projekten bei genauerem Hinsehen nicht ein. Damit bestätigt sich unsere Ausgangshypthese dieser Konkretionen von "Kunstwelten": Allzuviel an regionaler Identität steckt in ihnen nicht, ist wohl auch nicht ernsthaft beabsichtigt. Und die genannten Ausnahmen bestätigen eher die Regel.

Konfigurationen des Raumes

Am Ende der Erzählung vom Widerspruch zwischen den universellen Blaupausen im Freizeitimmobilientrend und regionaler Identität landen wir wieder im Ungefähren und stellen fest: Könnte so sein, könnte auch nicht oder könnte zumindest mächtig übertrieben sein. Es ist das Situationistische und Dynamische des modernen Freizeitmarktes einerseits und die große gesellschaftliche Akzeptanz des hedonistischen Konsums und die unendliche Plastizität des ästhetischen Wohlgefallens andererseits, das dieses ungefähre Sowohl - als auch und die schmerzfreie Assimilation von unglaublichen Widersprüchen produziert.

So bleibt dann auch zumeist unentdeckt, daß das Developing des unbegrenzten Freizeitvergnügens eine massive Neukonfiguration des Raumes in Angriff nimmt. Vorgegeben wird, daß man die Entwicklung von Freizeitanlagen ausschließlich als eine raumlose Kommunikationsstrategie betreibe. Wenzel und Partner, das prominenteste Beratungs- und Entwicklungsbüro für Freizeitimmobilien der Bundesrepublik aus Hamburg, stellen etwa mit ihrem "FIT" ins Zentrum der Entwicklungsstrategie ein "Freizeit-Kommunikationsmodell" mit den Elementen: Faszinieren, Inszenieren, Thematisieren sowie den Elementen Information, Bildung und Unterhaltung (Frank u.a., 1997, S. 176).

Tatsächlich handelt es sich bei der Mehrheit der postmodernen Vergnügungsstätten um recht materielle bauliche Großprojekte, die sich nur in den selteneren Fällen in bestehende städtebauliche Strukturen ohne Maßstabsprünge integrieren lassen. Schon neue Fitnesscenters und Großdiscos, die kleinsten Anlagen unter den Freizeitimmobilien, sind unter 10 000 qm Nutzfläche nicht mehr denkbar. Sie zeigen eher die Tendenz zu 30 000 qm. Musical Theater und Multiplexe reichen schon an 1 ha Größe heran, Mega Malls mit Handels-, Gastronomie-, Hotel und Entertainmentangeboten können es - wie beispielsweise Ontario Mills in Kalifornien - schon einmal auf 53 ha bringen, Freizeitparks wie die der Fa. Center Parcs stellen Flächenansprüche von etwa 60 bis 200 ha. Verkehrsanlagen müssen auf die erheblichen Besucherströme ausgelegt und entsprechend groß dimensioniert werden. Nutzungsunverträglichkeiten mit Nachbarn, wie wir sie derzeit zwischen der Dortmunder Bahnhofsüberbauung mit dem "Unbegrenzten Freizeitobjekt" (UFO) und der Dortmunder City in Augenschein nehmen, wo nicht weniger als ein Großstadtstadtzentrum in seiner bisherigen Struktur in Frage steht, bedeuten tatsächlich doch heftige Eingriffe in die Konfigurationen des Raumes.

Wie wir gezeigt haben, ist es Ziel der neuen Generation der Freizeitgroßanlagen, die Gäste teilnehmen zu lassen an einem weltumspannenden, überall ähnlichen Prozeß des Vergnügens, der Zerstreuung und der Ablenkung von den Zwängen des Alltags, um damit zugleich jede gewachsene, besondere Identität des Raumes abzustreifen. Wenn das, wie oben an den konkreten Beispielen gezeigt wurde, tatsächlich manchmal nicht gelingt oder sogar ins Gegenteil umschlägt, ist es von den Investoren nicht ernsthaft beabsichtigt. Das Abstreifen der besonderen Identität des Raumes ist wohl auch die zentrale Methode der Planung und Entwicklung dieser "Kunstwelten". Insofern ist es doch richtig, abschließend zweierlei festzustellen, nämlich erstens, daß es sich jetzt - im Unterschied zu den vorausgegangenen Generationen - hauptsächlich um hybride Klone, um künstliche "Kunstwelten" handelt, zweitens daß die schließlich doch gebauten Welten nur durch Produktion immaterieller Bilder für unsere Köpfe leben und durch Kommunikationsstrategien der Zerstreuung. Die Strategie des Vergessenmachens des Raumes und der Zeit, die "Kunstwelten" zur Geltung bringen, diesen ihren zentralen Beitrag zur Konfiguration des Raumes, wollen wir abschließend mit vier Hauptkommunikationsstrategien differenzieren:

1. Die Strategie der Thematisierung bemüht sich um das spezifische Image,

talkshowmäßig um Identität, und die Differenz zu anderen Freizeitangeboten. Durch Multithemencenter und Komplexe wird versucht, möglichst viele, verschiedene Zielgruppen unterschiedlichen Geschlechts, Alters, Schichtzugehörigkeit und Bildungsniveaus anzusprechen. Es werden in den jeweiligen Themenbereichen nicht nur architektonische Kulissen und Requisiten rekonstruiert, sondern auch die Fahrgeschäfte und Rides, Shows und Veranstaltungsprogramme angepaßt. Mitarbeiter werden kostümiert und mit bestimmten Rollen versehen. Gastronomie und Merchandising werden auf die Thematisierungen zugeschnitten. Atmosphäre wird durch das Zusammenspiel von Show und Raumstruktur, Licht und Material inszeniert: keine Thematisierung ohne Inszenierung.

2. Eine Strategie der Eventisierung stellt darauf ab, das dauerhafte Grundangebot zu toppen.

Man geht von der Faustformel aus, daß zwei Drittel des Vergnügens über das Standardangebot garantiert, jedoch jeweils ein Drittel über Events oder Top Acts geboten wird. Warner Bros. Movie World wird beispielsweise im Jahr 1998 eine "Familie Feuerstein Woche", ein "American Football Weekend", verschiedenste Musik- Festivals und eine "Halloween Party" geben. Im Disney Park bei Paris endet jeder Tag mit einem Feuerwerk usw. Die Strategie der Eventisierung ist die Organisation emotionaler Überfälle, der besonders auf Identifikation mit den Einrichtungen, Anlagen und Angeboten hinwirkt. Das Überraschende und Außergewöhnliche ist fast schon das Einzigartige und Unvergeßliche, eine Empfindung, die wir eigentlich gern wiederholen würden.

3. Die Strategie der Enträumlichung ist die logische Folge der beiden eben genannten

Entstofflichungsstrategien. In fast allen Kunstwelten werden nirgendwo und überall vorkommende Sets von Raum- und Naturbildern gestapelt und es werden die internationalen Fernseherfahrungen gedoubelt. Die architektonischen Hüllen werden in der Regel als Container konzipiert, wofür es zwei Grundkonzepte gibt: entweder wird in historische Verkleidungen oder Hüllen geschlüpft oder es entstehen völlig anonyme Gewerbekisten. Im Inneren jedoch wird ein exakt kalkuliertes Raumspiel zwischen Attraktionen, sogenannten Ankerangeboten, Images und Thematisierungen entwickelt. Dadurch entsteht der wichtige Kontrast zwischen Außenraum und Innenraum und der Kontrast zwischen Realität und Fiktionalität, die beide die entscheidenden Hebel der Enträumlichung darstellen.

4. Allein Fiktionalität und Enträumlichung produzieren noch nicht ein angenehmes und

vergnügliches Vergessen. Es muß eine Strategie der Eskapismus hinzukommen. Realitätskontakte und Probleme, Gut und Böse werden als harmlose Märchen oder Fiktionen transponiert. Es passiert einmal etwas ganz anderes als im wirklichen Leben. Es ist Kino, es ist Show. Das Schauen von Bildern befreit vom diskursiven Durchdenken. Die mit dem Eintrittsticket gebuchte Ordnung und Zeitdisposition lassen die Unordnung der übrigen Welt als unnötig erscheinen und entlasten von Anstrengungen zur Organisation des gesellschaftlichen Chaos draußen, von der Beseitigung der scharfen Widersprüche zwischen Erfolgreichen und Erfolglosen, vom Existenzkampf, von der Arbeit am tagtägliche Durcheinander in unseren guten Vorsätzen mit unseren hilflosen Psychen und von den Anstrengungen zur Minderung der Unübersichtlichkeit von biographischen Perspektiven.

Das ist der Zweck der Übung. Alle Beteiligten wissen das, die Produzenten der künstlichen Erlebniswelten so gut wie ihre Gäste. Deswegen haben sie ja ihre Symbiose und sie freuen sich daran. Denn es geht ja ums harmlose massenhafte Vergnügen. Problematisch wird's nur, wenn es unwiederbringliche Raumopfer oder Menschenopfer gibt oder verlangt wird, die Freiheit multipler Identitäten aufzugeben und sich einer einzigen Identifikationspolitik zu unterwerfen oder wenn Vergnügen zur Leitidee einer Gesellschaft wird, im Sinne der Erlebnisgesellschaft von Schulz (Schulz, 1996).

Literaturverzeichnis

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Jöhnk, Peter: Erlebnisräume. Manuskript des Vortrags anläßlich des Management Congresses: Erlebniswelt Freizeitimmobilie am 27. Und 28. Mai 1997 in Stuttgart. Zitiert nach Steinecke, Albrecht: Inszenierung im Tourismus: Motor der künftigen touristischen Entwicklung. In: Steinecke, Albrecht; Treinen, Mathias (Hrsg): Inszenierung im Tourismus. Trends - Modelle - Prognosen. ETI-Studien, Band 3, Trier 1997, S. 12 f

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